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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Horizont von Yellowstone kippte langsam in die Waagrechte zurück, als der Raumkoloss die Orbitalgeschwindigkeit des Karussells aufgab, mit der er bisher geflogen war. Das Manöver verlief reibungslos und ohne Zwischenfälle, aber es musste doch sorgfältig geplant gewesen sein, denn als wir endlich relativ zum Planeten zur Ruhe kamen, waren wir nicht etwa tausende von Kilometern von Chasm City entfernt, sondern schwebten genau über der Stadt.
    Obwohl wir uns noch mehrere tausend Meter über der Oberfläche befanden, war die Schwerkraft von Yellowstone schon fast so stark wie auf dem Boden. Wir saßen wie auf dem Gipfel eines sehr hohen Berges, der über die Atmosphäre hinaus ragte. Nun ging der Koloss – mit der gleichen Bedächtigkeit, die bisher die ganze Reise ausgezeichnet hatte – in den Sinkflug.
    Quirrenbach und ich betrachteten schweigend die Aussicht.
    Yellowstone war ein Bruder des Titan im Sonnensystem; weniger ein Mond als eine ausgewachsene Welt. Durch die chaotische und hochgiftige Mischung von Stickstoff, Methan und Ammoniak hatte er eine Atmosphäre, die in allen nur erdenklichen Gelbtönen schillerte: Ocker, Orange und Hellbraun bildeten wunderschöne Spiralwirbel, zart verschnörkelt und filigran wie mit feinstem Pinsel gemalt. Yellowstones Oberfläche war zumeist ausgesprochen kalt, starke Winde, Springfluten und Gewitter peitschten darüber hin. Die Bahn des Planeten um Epsilon Eridani war vor undenklichen Zeiten durch eine Annäherung des massiven Gasriesen Tangerine Dream gestört worden, und obwohl das Ereignis mehrere Hundert Millionen Jahre zurückliegen musste, erholte sich Yellowstones Kruste nur langsam von den tektonischen Spannungen dieser Begegnung und gab immer noch Energie an die Oberfläche ab. Man vermutete sogar, dass Marcos Auge – der einzige Mond des Planeten – aus dem Umfeld des Gasriesen eingefangen worden sei; eine Hypothese, mit der sich auch die seltsamen Krater auf einer Seite des Mondes erklären ließen.
    Yellowstone war kein lebensfreundlicher Planet, trotzdem waren die Menschen gekommen, um ihn zu besiedeln. Ich malte mir aus, wie es gewesen sein mochte, auf dem Höhepunkt der Belle Epoque in Yellowstones Atmosphäre einzutreten, zu wissen, dass unter diesen goldenen Wolkenschichten wahre Märchenstädte lagen, darunter Chasm City, die herrlichste von allen. Der Traum hatte mehr als zweihundert Jahre angedauert – und selbst in der Endzeit hatte nichts dagegen gesprochen, dass er sich noch über Jahrhunderte fortsetzen könnte. Es hatte keinerlei Verfallserscheinungen gegeben, kein Nachlassen der Spannkraft. Doch dann war die Seuche gekommen. Plötzlich hatte man die vielen Gelbtöne mit Krankheitsfarben assoziiert: Gelb wie Erbrochenes, wie Galle, wie Eiter; ein Himmel wie im Fieber und darunter vergiftete Städte, die sich Geschwüren gleich über die Oberfläche breiteten.
    Dennoch, dachte ich und nippte an dem Drink, den Quirrenbach mir spendiert hatte, es war eine gute Zeit gewesen, so lange sie dauerte.
    Der Koloss trat nicht in die Atmosphäre ein, er tauchte unter und sank so langsam in die Tiefe, dass auf der Außenhülle nur eine kaum nennenswerte Reibung entstand. Der Himmel war nicht mehr tiefschwarz, sondern schimmerte in zartem Purpur und wurde schließlich ockergelb. Hin und wieder kam es zu Schwankungen des Gewichts – vermutlich immer dann, wenn der Koloss auf eine Druckzelle traf, die sich nicht so ohne weiteres verdrängen ließ –, aber der Unterschied betrug nie mehr als zehn bis fünfzehn Prozent.
    »Es ist immer noch schön«, sagte Quirrenbach. »Finden Sie nicht?«
    Er hatte Recht. Jetzt war gelegentlich schon die Oberfläche zu erkennen, wenn eine Bö oder eine chaotische Veränderung in der Atmosphärechemie kurz eine Lücke in die gelben Wolkenschichten riss. Schillernde Seen aus gefrorenem Ammoniak; bedrückende Ödflächen, vom Wind modelliert; abgebrochene Felsnadeln und Kilometer hohe Bogenformationen, die anmuteten wie die halb vergrabenen Gebeine gigantischer Tiere. Ich wusste, dass es da unten einzellige Lebensformen gab – sie bedeckten in großen, glänzend purpurnen und smaragdgrünen monomolekularen Schichten die Oberfläche oder durchzogen das Tiefengestein –, aber sie existierten in einer derart eiszeitlichen Starre, dass man kaum von Leben sprechen konnte. Da und dort erhoben sich, von Kuppeln geschützt, kleine Außenposten, die aber niemand als Städte bezeichnet hätte. Auf Yellowstone gab es inzwischen nur

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