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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Welten ein kleiner und ziemlich rückständiger Planet, der im interstellaren Handel mit seinen ständig wechselnden Machtverhältnissen nicht gerade eine Schlüsselrolle spielte. Zu exportieren hatten wir wenig, abgesehen von unserer Kriegserfahrung und einigen aus den Urwäldern gewonnenen Bioprodukten, für die wenig Nachfrage bestand. Und obwohl wir den Demarchisten-Welten nur zu gerne ausgefallene technische Waren und Dienstleistungen aller Art abgekauft hätten, konnten sich dergleichen auf Sky’s Edge nur die wohlhabendsten Bürger leisten. Wenn uns ein Schiff besuchte, dann munkelte man gewöhnlich, es sei entweder aus den lukrativeren Märkten – wie der Yellowstone-Sol- oder der Fand-Yellowstone-Grand-Teton-Route – hinausgeekelt worden, oder es müsse einen Zwischenstopp einlegen, um Reparaturen durchzuführen. Im Durchschnitt passierte das alle zehn Standardjahre einmal, und wir wurden jedes Mal wieder übers Ohr gehauen.
    »Wurde Haussmann tatsächlich hier hingerichtet?«, fragte ich Dieterling, als wir die große Halle durchquerten, wo jeder Schritt widerhallte.
    »Irgendwo hier in der Nähe«, sagte er. »Die genaue Stelle kennt niemand, weil es damals keine präzisen Karten gab. Aber sie muss in einem Umkreis von wenigen Kilometern liegen; auf jeden Fall im Stadtgebiet von Nueva Valparaiso. Man wollte die Leiche zunächst verbrennen, entschloss sich dann aber, sie einzubalsamieren; so ließ sie sich besser als abschreckendes Beispiel verwenden.«
    »Den Kult gab es damals also noch nicht?«
    »Nein. Natürlich gab es ein paar Spinner, die mit ihm sympathisierten – aber von einer Kirche konnte nicht die Rede sein. Die kam erst später. Die Santiago war zum größten Teil freidenkerisch orientiert, doch so leicht ließ sich die Religion nicht aus der menschlichen Psyche entfernen. Also nahm man Skys Taten und verschmolz sie mit den Erinnerungen an zuhause, wobei man nach Belieben das eine bewahrte und das andere verwarf. Bis man sich auf diese Weise eine Weltanschauung mit allem Drum und Dran zusammengebastelt hatte, vergingen ein paar Generationen, doch dann gab es kein Halten mehr.«
    »Und nach dem Bau der Brücke?«
    »Da hatte einer der Haussmann-Kulte – die Kirche Skys, wie er sich nannte – den Leichnam bereits in seinen Besitz gebracht. Und er hatte – schon aus praktischen Gründen – beschlossen, Sky müsse nicht nur in der Nähe der Brücke, sondern direkt darunter gestorben sein. Die Brücke sei eigentlich auch gar kein Weltraumfahrstuhl – das sei allenfalls ihre äußere Funktion –, sondern ein Zeichen Gottes: ein vorgefertigtes Heiligtum zum Gedenken an Sky Haussmanns ruhmreiches Verbrechen.«
    »Aber die Brücke wurde doch von Menschen geplant und gebaut.«
    »Im Auftrag Gottes. Verstehst du denn nicht? Darüber lässt sich nicht streiten, Tanner. Gib es einfach auf.«
    Wir gingen an einigen Haussmann-Kultisten vorbei, zwei Männern und einer Frau, die auf dem Weg zur anderen Seite waren. Sie kamen mir auf den ersten Blick bekannt vor, obwohl ich mich nicht entsinnen konnte, jemals leibhaftige Angehörige der Sekte gesehen zu haben. Alle drei trugen aschgraue Kutten, und beide Geschlechter bevorzugten langes Haar. Einer der Männer hatte ein Diadem auf dem Kopf, das irgendwie mechanisch aussah – vielleicht zur Schmerzerzeugung. Der linke Ärmel des anderen war leer und seitlich festgesteckt. Die Frau hatte ein kleines delphinförmiges Mal auf der Stirn, und das erinnerte mich daran, dass sich Sky Haussmann mit den Delphinen an Bord der Santiago angefreundet und viel Zeit mit den Tieren verbracht hatte, die von allen anderen gemieden wurden.
    Ich fand es merkwürdig, dass mir das eingefallen war. Ob ich es wohl irgendwo gehört hatte?
    »Hast du die Pistole griffbereit?«, fragte Dieterling. »Man weiß ja nie. Womöglich bindet sich der Bastard gerade die Schuhbänder, wenn wir um die nächste Ecke biegen.«
    Ich klopfte auf die Tasche, um mich zu vergewissern, dass die Waffe noch da war, dann sagte ich: »Ich glaube nicht, dass heute unser Glückstag ist, Miguel.«
    Wir traten durch eine Tür in der inneren Wand der Halle. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr, dass der Mönchsgesang aus menschlichen Kehlen kam; die Stimmen hielten einen fast, aber leider nicht ganz reinen Ton.
    Zum ersten Mal, seit wir das Terminal betreten hatten, konnten wir das Kabel sehen. Wir standen auf einer Galerie über dem Einstiegsbereich, einem großen, kreisrunden Raum. Der Boden lag Hunderte

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