Chasm City
Gegner nicht mit vollem Einsatz spielte, ich musste also sein Ego an zwei Fronten befriedigen. Ich bedrängte ihn hart und zwang ihn in eine Ecke, baute aber in meine Position eine Schwäche ein – ein sehr subtiles Manöver, das aber potenziell vernichtend für mich war. Und wenn es so aussah, als würde ich ihm Schach bieten, ließ ich diese Schwäche offenbar werden wie einen plötzlich aufgetretenen Haarriss. Manchmal passierte es jedoch, dass er meine Fehler übersah, und dann blieb mir nichts anderes übrig, als ihn verlieren zu lassen. Bestenfalls konnte ich unter diesen Umständen den Anschein erwecken, als hätte ich nur ganz knapp gewonnen.
»Sie haben mich wieder einmal geschlagen, Tanner…«
»Aber Sie haben gut gespielt. Gelegentlich müssen Sie mir auch einen Sieg gönnen.«
Gitta erschien an der Seite ihres Mannes und goss ihm einen weiteren Zentimeter Pisco ins Glas.
»Tanner spielt immer gut«, sagte sie mit einem Blick auf mich. »Deshalb ist er auch ein würdiger Gegner für dich.«
Ich zuckte die Achseln. »Man tut, was man kann.«
Cahuella fegte mit einer wütenden Bewegung die Figuren vom Tisch, aber seine Stimme blieb freundlich. »Noch eine Partie?«
»Warum nicht?«, sagte ich, ohne mir meinen Überdruss anmerken zu lassen. Diesmal, das war mir klar, musste ich verlieren.
Wir beendeten die Schachpartie. Cahuella und ich tranken noch einen Schluck Pisco, und dann gingen wir ein weiteres Mal den Plan für den Hinterhalt durch, obwohl wir das schon Dutzende von Malen getan hatten und es eigentlich nichts mehr zu besprechen gab. Aber es war eins von den Ritualen, die unverzichtbar waren. Hinterher führten wir eine letzte Waffenkontrolle durch, dann nahm Cahuella sein Gewehr an sich und flüsterte mir ins Ohr:
»Ich gehe noch einmal kurz nach draußen, Tanner. Ich will ein paar letzte Schießübungen machen und möchte dabei möglichst nicht gestört werden.«
»Reivich könnte das Mündungsfeuer sehen.«
»Es sind Gewitter im Anzug«, sagte Cahuella. »Er wird glauben, es seien Blitze.«
Ich nickte und entließ ihn in die Nacht, nachdem ich die Einstellungen seines Gewehrs noch einmal überprüft hatte. Er ging ohne Taschenlampe, den Miniaturlaser schräg auf den Rücken geschnallt, und ich hatte ihn bald aus den Augen verloren. Es war eine dunkle Nacht, und ich konnte nur hoffen, dass er sich in dem Teil des Dschungels, der sich unmittelbar an die Lichtung anschloss, entsprechend auskannte. Wie Dieterling war er überzeugt, auch im Dunkeln ausreichend gut sehen zu können.
Schon nach wenigen Minuten hörte ich die ersten Schüsse: zuerst alle paar Sekunden eine Entladung, dann längere Pausen, die darauf schließen ließen, dass er die Einschläge kontrollierte oder sich neue Ziele suchte. Bei jedem Schuss zuckte ein Lichtblitz über die Baumwipfel und scheuchte die Tiere im Blätterdach auf; ich sah schwarze Schatten vor den Sternen vorbeihuschen. Dann entdeckte ich im Westen einen anderen – ebenso schwarzen, aber sehr viel größeren – Schatten, der ein ganzes Sternenfeld verdeckte. Das Gewitter, das Cahuella vorhergesagt hatte, kam vom Meer her landeinwärts gekrochen, um die ganze Halbinsel im Monsunregen zu ertränken. Wie um meine Diagnose zu bestätigen, geriet die bisher ruhige, warme Nachtluft in Bewegung, eine leichte Brise strich durch die Baumwipfel. Ich kehrte ins Zelt zurück, suchte mir eine Taschenlampe und folgte Cahuella. Seine Schüsse wiesen mir den Weg wie die Richtfeuer eines Leuchtturms. Doch das Unterholz war tückisch, und so brauchte ich mehrere Minuten, um die Stelle – eine kleine Lichtung – zu finden, auf der er sein Schießtraining absolvierte. Ich machte mich bemerkbar, indem ich den Strahl meiner Taschenlampe über seinen Körper wandern ließ.
Ohne mit dem Schießen aufzuhören, sagte er: »Ich wollte doch nicht gestört werden, Tanner.«
»Ich weiß, aber es ist ein Unwetter im Anzug. Ich hatte befürchtet, Sie würden es erst merken, wenn der Regen einsetzte, und hätten dann womöglich Schwierigkeiten, ins Lager zurück zu finden.«
»Ich war doch derjenige, der Ihnen von dem Gewitter erzählte«, sagte er, ohne sich nach mir umzudrehen. Er war immer noch völlig in seine Übungen vertieft. Ich konnte nicht erkennen, worauf er eigentlich zielte; die Laserstöße schnitten in ein tiefschwarzes Nichts ohne alle Strukturen. Aber die Schüsse folgten sehr präzise aufeinander, auch wenn er die Stellung veränderte oder das Gewehr von
Weitere Kostenlose Bücher