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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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gab verschiedene Theorien über winzige Schwarze Löcher oder Bruchstücke von Quarkmaterie, die in die Kruste gekracht sein sollten, aber was wirklich geschehen war, wusste niemand. Auch Gerüchte und Märchen rankten sich um die Spalte: man hätte bei Ausgrabungen unter der Kruste Spuren von Außerirdischen gefunden, Beweise dafür, dass der Abgrund in gewissem Sinne künstlich entstanden, wenn auch nicht unbedingt planmäßig geschaffen worden sei. Vielleicht waren die Außerirdischen aus dem gleichen Grund gekommen wie die Menschen, um nämlich die dortigen Energie- und Mineralvorkommen auszubeuten. Die Rohrleitungen, die sich wie Fühler, wie gierige Finger von der Stadt zum Grund der Spalte hinabtasteten, waren von hier aus ganz deutlich zu sehen.
    »Tun Sie nicht so völlig unbeeindruckt«, sagte Zebra. »Manch einer würde für diese Aussicht einen Mord begehen. Wahrscheinlich kenne ich sogar einige Leute, die das tatsächlich getan haben.«
    »Das überrascht mich nicht allzu sehr.«
    Sie war lautlos eingetreten. Ich dachte auf den ersten Blick, sie wäre nackt, doch tatsächlich war sie voll bekleidet. Allerdings war ihr Gewand so durchsichtig wie ein Rauchschleier.
    In den Armen hielt sie, gewaschen und ordentlich gefaltet, meine Eisbettlerkleider.
    Jetzt konnte ich sehen, wie dünn sie war. Unter der blaugrauen Hülle hatte sie überall schwarze Streifen, die den Linien ihres Körpers folgten und die Genitalregion kaschierten. Diese Streifen verdeckten und betonten abwechselnd die Wölbungen und Falten, sodass sie mit jedem Schritt, den sie näher kam, eine Metamorphose durchlief. Das Haupthaar wuchs in einer schnurgeraden Furche weiter über den ganzen Rücken und endete erst über den gestreiften Hinterbacken. Ihr Gang war von tänzerischer Leichtigkeit, die kleinen hufähnlichen Füße schienen weniger ihr Gewicht zu tragen, als zu verhindern, dass sie einfach davonschwebte. Hätte sie am Großen Spiel teilgenommen, sie hätte sicher zu den besten Jägern gehört. Immerhin hatte sie mich zur Strecke gebracht – wenn auch nur, um ihren Feinden den Spaß zu verderben.
    »Auf meinem Heimatplaneten«, sagte ich, »würde man diese Aufmachung als aufreizend empfinden.«
    »Wir sind hier nicht auf Sky’s Edge«, sagte sie und legte meine Kleider auf die Couch. »Nicht einmal auf Yellowstone. Im Baldachin tun wir mehr oder weniger, was uns gefällt.« Sie strich sich mit den Händen über die Hüften.
    »Entschuldigen Sie, ich möchte nicht indiskret sein, aber wurden Sie so geboren, wie Sie jetzt sind?«
    »Wo denken Sie hin? Ich war auch nicht immer eine Frau, was immer das heißen mag, und ich bezweifle, dass ich diese Gestalt für den Rest meines Lebens behalten werde. Ganz sicher werde ich mich nicht immer Zebra nennen. Wer ließe sich denn schon freiwillig für alle Zeit auf einen Körper, eine Identität festnageln?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich bedächtig. »Auf Sky’s Edge war jede Art von körperlicher Veränderung für die meisten Leute unerschwinglich.«
    »Verständlich. Sie waren sicher alle viel zu sehr damit beschäftigt, sich gegenseitig umzubringen.«
    »Das ist eine stark verkürzte Zusammenfassung unserer Geschichte, aber vermutlich nicht allzu weit von der Wahrheit entfernt. Wie weit sind Sie überhaupt darüber informiert?« Nicht zum ersten Mal, seit Zebra den Raum betreten hatte, musste ich an den schlimmen Traum von Cahuellas Camp denken und daran, wie Gitta mich angesehen hatte. Gitta und Zebra hatten nicht viel gemeinsam, aber ich war noch so verschlafen und desorientiert, dass ich unwillkürlich einige von Gittas Eigenschaften bei Zebra wiederfand: den geschmeidigen Körper, die hohen Wangenknochen und das dunkle Haar. Nicht, dass ich nicht auch Zebra selbst anziehend gefunden hätte. Aber sie erschien mir fremdartiger als jedes Lebewesen – ob menschlich oder nicht –, mit dem ich jemals ein Zimmer geteilt hatte.
    »Ich weiß genug«, sagte Zebra. »Einige von uns haben ein geradezu morbides Interesse für Ihre Welt entwickelt. Wir finden sie erheiternd, sonderbar und Grauen erregend zugleich.«
    Ich nickte zu den Gefangenen in der Wand hin, dem Bildnis, das ich zunächst für ein Kunstwerk gehalten hatte.
    »Ich finde das, was hier geschehen ist, auch ziemlich grauenhaft.«
    »Das war es, gewiss. Aber wir haben es durchgestanden, und wer überlebte, hat die Seuche nie in ihrer schlimmsten Form erfahren.« Sie stand jetzt dicht bei mir, und zum ersten Mal fühlte ich

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