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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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rang mit mir, ob ich ihr eine Nachricht hinterlassen sollte. Schließlich suchte ich mir doch ein Stück Papier und einen Stift – nach der Seuche war das altmodische Schreibgerät offenbar wieder in Mode gekommen – und kritzelte ein paar Worte des Inhalts, ich sei ihr sehr dankbar, aber ich wäre kein Mensch, der zwei Tage warten könnte, wenn er wüsste, dass er gejagt würde, auch wenn sie mir gewissermaßen Asyl angeboten hätte.
    Auf dem Weg nach draußen nahm ich das Plasmagewehr an mich.
    Ihre Seilbahngondel stand noch immer in der Nische neben ihrer Wohnung. Auch hier hatte sie überstürzt gehandelt – das Fahrzeug war fahrbereit, die Steuerkonsole leuchtete und wartete auf meine Eingaben.
    Ich hatte zugesehen, wie Zebra die Gondel steuerte, und ging davon aus, dass sie halbautomatisch betrieben wurde – der Fahrer brauchte keine Kabel zu wählen, sondern bestimmte lediglich mit dem Steuerknüppel die Richtung und regelte mit den Drosselventilen die Geschwindigkeit. Den Rest übernahmen interne Prozessoren. Sie wählten die Kabel so, dass die gewünschte Route eingehalten oder das Ziel mit minimalem Aufwand angesteuert wurde. Sollte der Fahrer die Gondel in einen Bereich des Baldachins lenken wollen, wo es keine Kabel gab, würde die Gondel den Befehl vermutlich verweigern oder einen geeigneten Umweg wählen.
    Dennoch war vielleicht mehr fahrerisches Können erforderlich, als ich gedacht hatte, denn anfangs wurde ich herumgeworfen wie in einem kleinen Boot auf stürmischer See. Irgendwie gelang es mir dennoch, die Gondel in Bewegung zu halten und durch das Gitternetz des Baldachins nach unten zu steuern. Allerdings hatte ich keine Ahnung, wohin ich fuhr. Ich hatte ein Ziel vor Augen – ein ganz bestimmtes Ziel sogar –, aber durch die Geschehnisse der vergangenen Nacht hatte ich jegliche Orientierung verloren. Ich hatte keine Ahnung, wo Zebras Wohnung lag, außer, dass der Abgrund in der Nähe war. Immerhin war es jetzt Tag, über dem Moskitonetz ging die Morgensonne auf, ich hatte einen weiten Ausblick über die Stadt und erkannte einige Gebäude mit charakteristischen Deformationen wieder, die ich gestern von weiter unten und aus einem anderen Winkel gesehen haben musste. Ein Hochhaus hatte unheimliche Ähnlichkeit mit einer menschlichen Hand, die vom Himmel herabgriff. Die Finger endeten in dünnen Ranken, die mit den Ausläufern benachbarter Gebäude verschmolzen. Ein anderes glich einer Eiche, manche zerflossen zu einer Wolke aufgeplatzter Blasen und starrten mich an wie das entstellte Gesicht eines Pockenkranken.
    Ich steuerte die Gondel weiter abwärts, hinein in das unbewohnte Zwischenreich, das Baldachin und Mulch voneinander trennte. Über mir türmte sich der Baldachin auf wie eine bizarre Wolkenbank. Die Fahrt wurde unruhiger – die Gondel fand weniger Kabel, auf die sie zugreifen konnte, und glitt in schwindelerregend langen Rutschfahrten an einzelnen Strängen abwärts.
    Inzwischen musste Zebra wohl bemerkt haben, dass ich mich aus dem Staub gemacht hatte. Sicher fiel ihr auch bald auf, dass ihr Gewehr, Geld und Gondel abhanden gekommen waren – aber was konnte sie schon tun? Wenn das Große Spiel in der ganzen Baldachin -Gesellschaft verbreitet war, konnten sie und ihre Verbündeten meinen Diebstahl kaum melden, ohne zu erklären, wie ich in ihre Wohnung gekommen war. Damit würde sie auch Waverly belasten und sich und ihn als Saboteure bloßstellen.
    Unter mir kam der Mulch in Sicht – gewundene, überflutete Straßen, mit Elendsquartieren verkrustete Gebäude. Offene Feuer schickten Rauchzeichen in die Luft, da und dort brannten auch Lichter; wenigstens hatte ich ein bewohntes Viertel getroffen. Es waren sogar Menschen unterwegs, auch Rikschas und Tiere, und wenn ich die Gondeltür geöffnet hätte, wären mir wohl die Düfte aus den Kochkesseln oder der Brandgeruch der Feuer in die Nase gestiegen.
    Die Gondel machte einen Satz und sackte ab.
    Es war nicht das erste Mal, dass ich erschrak, doch diesmal dauerte die Sturzfahrt länger, und im Cockpit schrillte eine Sirene. Dann bewegte sich das Gefährt wieder halbwegs normal, allerdings merklich holpriger, und die Geschwindigkeit, mit der es sank, erschien mir gefährlich hoch. Was war geschehen? War ein Kabel gerissen oder hatte die Gondel einfach keinen Halt gefunden und war ein Stück weit in die Tiefe gestürzt, bevor sie den nächsten Strang zu fassen bekam?
    Schließlich sah ich auf die Steuerkonsole. Dort blinkte eine

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