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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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etwas Dringendes zu erledigen.« Das war ein Fehler; meine Rache an Reivich war das Letzte, worüber Zebra Bescheid zu wissen brauchte, und jetzt hatte ich sie geradezu provoziert, Vermutungen darüber anzustellen, was einen Mann wohl veranlassen könnte, ein sicheres Versteck zu verlassen.
    »Eins ist merkwürdig«, sagte sie. »Ich nehme dir beinahe ab, dass du dich revanchieren willst. Ich weiß nicht, warum, aber ich halte dich für einen Mann, der zu seinem Wort steht.«
    »Du hast Recht«, sagte ich. »Und das wird mich eines Tages den Kopf kosten.«
    »Wie soll ich das verstehen?«
    »Schon gut. Ist für heute Nacht eine Jagd angesetzt, Zebra? Ich dachte, wenn mir das überhaupt jemand sagen kann, dann du.«
    »Es findet eine Jagd statt«, sagte sie nach längerem Überlegen. »Aber ich weiß nicht, was dich das angeht, Tanner. Hast du deine Lektion noch nicht gelernt? Du kannst froh sein, dass du noch unter uns weilst.«
    Ich lächelte. »Wahrscheinlich habe ich einfach noch nicht genug von Chasm City.«
 
    Ich brachte das Telefon zu seinem Besitzer zurück und überlegte, welche Möglichkeiten ich hatte. Zebras Gesicht und ihre Stimme lauerten hinter jedem meiner Gedanken. Warum hatte ich sie angerufen? Der einzige Grund war das Bedürfnis, mich zu entschuldigen, und selbst das war zwecklos; eine Geste, die mehr mein Gewissen beruhigen als der Frau helfen sollte, die ich bestohlen hatte. Mir war durchaus bewusst gewesen, wie sehr mein Verrat sie schmerzen musste, und ich wusste auch, dass ich in absehbarer Zukunft keine Gelegenheit finden würde, Wiedergutmachung zu leisten. Dennoch hatte mich etwas zu diesem Anruf gedrängt, und als ich nun versuchte, die wahren Beweggründe unter der Oberfläche aufzudecken, fand ich nur ein Durcheinander von Emotionen und Impulsen: ihr Geruch; ihr Lachen; der Schwung ihrer Hüften und der Anblick der Streifen, die sich zusammenzogen und wieder entspannten, als sie mir nach dem Liebesakt den Rücken zudrehte. Was ich gefunden hatte, gefiel mir nicht, und ich knallte den Deckel auf diese Gedanken, als hätte ich versehentlich ein Schlangennest freigelegt…
    Ich kehrte auf den Basar zurück und mischte mich unter die Menge. Der Lärm drängte alle abwegigen Vorstellungen zurück, sodass ich gezwungen war, mich stattdessen auf das Jetzt zu konzentrieren. Ich hatte immer noch Geld; für die Begriffe des Mulch war ich ein reicher Mann, auch wenn das im Baldachin nicht viel zu bedeuten hatte. Nachdem ich herumgefragt und die Preise verglichen hatte, fand ich ein paar Straßen weiter in einem der weniger heruntergekommenen Viertel ein Zimmer, das ich mieten konnte.
    Der Raum war selbst für Mulch- Verhältnisse schäbig, ein würfelförmiges Eckelement in einem baufälligen Teil der über acht Stockwerke reichenden Gebäudekruste, die sich um den Fuß eines größeren Bauwerks gebildet hatte. Andererseits wirkte das Ganze auch sehr alt und etabliert, denn es hatte seinerseits eine parasitäre Verkrustungsschicht aus Leitern, Treppen, horizontalen Absätzen, Abwasserleitungen, Spaliergittern und Tierkäfigen angesetzt, sodass der Komplex, auch wenn er nicht der sicherste im ganzen Mulch sein mochte, doch schon seit einigen Jahren bestand und wohl kaum gerade meine Ankunft zum Anlass nehmen würde, in sich zusammenzustürzen. Ich erreichte mein Zimmer über mehrere Leitern und Gitterstege. Der Fußboden aus Bambusgeflecht hatte breite Spalten, durch die man in schwindelerregender Tiefe die Straße sehen konnte. Beleuchtet wurde der Raum mit Gaslicht, obwohl andere Teile des Komplexes von ständig brummenden, methanbetriebenen Generatoren irgendwo unter mir mit Elektrizität versorgt wurden. Die Maschinengeräusche lieferten sich einen erbitterten Kampf mit den einheimischen Straßenmusikanten, Ausrufern, Muezzins, Hausierern und Tieren. Aber ich nahm den Lärm bald nicht mehr wahr, und als ich die Jalousien zugezogen hatte, war es sogar halbwegs dunkel.
    Es gab keine Möbel außer einem Bett, aber mehr brauchte ich ja auch nicht.
    Ich setzte mich darauf und dachte über die jüngsten Ereignisse nach. Ich rechnete vorerst nicht mit neuen Haussmann-Episoden und konnte deshalb die bisherigen mit kühler fast klinischer Objektivität analysieren.
    Irgendetwas stimmte daran nicht.
    Ich war gekommen, um Reivich zu töten, und doch bekam ich – fast beiläufig – immer wieder Einblick in größere Zusammenhänge, die mir ganz und gar nicht gefielen. Die Haussmann-Episoden spielten

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