Chasm City
seinem Bauch schrie jemand irgendwelche Parolen durch ein Megafon. Über einen Projektionsschirm unter der Gondel flackerten bruchstückhafte Neonbilder. Eine Art Muezzin rief die Gläubigen aus dem Mulch zum Abendgebet oder einem entsprechenden religiösen Ritual. Und dann entdeckte ich einen Mann mit langen Ohren und Juwelenohrringen. Er hatte einen fahrbaren Stand mit vielen kleinen Weidenkörbchen, in denen sich Schlangen aller nur erdenklichen Größen und Farben befanden. Als er einen der Käfige öffnete und eine der zusammengerollten dunklen Schlangen so lange anstupste, bis sie gereizt die Schlingen bewegte, musste ich an den weiß gefliesten Raum in meinem Traum denken. Jetzt erkannte ich ihn: es war die Grube, in der Cahuella die Jung-Hamadryade gehalten hatte. Ich erschauerte und fragte mich, was das wohl bedeuten mochte.
Etwas später kaufte ich mir eine Waffe.
Sie war viel handlicher und weniger auffällig als das Gewehr, das ich Zebra gestohlen und dann versetzt hatte, eine kleine Pistole, die bequem in einer der vielen Taschen meines Mantels Platz fand. Sie stammte von einer anderen Welt und schoss mit Eisschrot: Kugeln aus reinem Wassereis, die in einem integrierten Geschossmantel von wellenförmig aufeinander folgenden Magnetfeldern durch den Lauf getrieben und auf Überschallgeschwindigkeit beschleunigt wurden. Eisgeschosse richteten ebenso großen Schaden an wie Kugeln aus Metall oder Keramik, aber wenn sie beim Aufschlag zerschellten, schmolzen die Bruchstücke und verschwanden spurlos. Der größte Vorteil solcher Waffen bestand darin, dass sie überall mit halbwegs sauberem Wasser geladen werden konnten, auch wenn sie am besten mit vorgefrosteten Spezialkugeln in Kryo-Clips funktionierten, die vom Hersteller mitgeliefert wurden. Außerdem war es praktisch unmöglich, nach einem Verbrechen den Besitzer der Pistole ausfindig zu machen, das machte sie zu einem idealen Werkzeug für Berufskiller. Dass die Kugeln keine eigene Zielsucheinrichtung hatten und auch nicht jede Panzerung durchschlagen konnten, spielte für mich keine Rolle. Eine Waffe von so ungeheurer Durchschlagskraft wie Zebras Gewehr wäre für ein Attentat nur dann sinnvoll, wenn sich die Gelegenheit böte, Reivich über die halbe Stadt hinweg zu erschießen, und damit war kaum zu rechnen. Das würde kein Abschuss werden, bei dem man in einem Fenster saß, durch das Zielfernrohr eines Hochleistungsgewehres visierte und wartete, bis einem das Objekt hinter einem kilometerdicken, flimmernden Hitzeschleier ins Fadenkreuz lief. Ich würde schon den gleichen Raum betreten müssen, um dort mein Opfer aus so geringer Entfernung, dass ich das Weiße in seinen angstvoll aufgerissenen Augen sehen konnte, mit einem einzigen Schuss zu erledigen.
Der Abend senkte sich über den Mulch herab. Außer auf den Straßen im Umkreis der Basare lichtete sich der Fußgängerverkehr allmählich. Die hohen Türme des Baldachins warfen dumpfe, drohende Schatten.
Ich machte mich ans Werk.
Der Junge, der die Rikscha fuhr, hätte derselbe sein können, der mich beim ersten Mal in den Mulch gebracht hatte, oder er hatte einen Bruder, der ihm zum Verwechseln ähnlich sah. Auch er hatte eine erklärte Abneigung gegen das von mir gewünschte Ziel – und wollte mich erst dorthin bringen, als ich ihm den Entschluss mit der Aussicht auf ein großzügiges Trinkgeld versüßte. Selbst dann zögerte er noch, aber wir brachen dennoch auf und steuerten in einem Tempo durch die dämmrigen Schneisen der Stadt, das deutlich zeigte, wie eilig er es hatte, die Fahrt hinter sich zu bringen und nach Hause zurückzukehren. Seine Nervosität griff auf mich über, meine Hand wanderte wie von selbst in die Manteltasche und suchte nach der Pistole. Ihre kühle Glätte war so beruhigend wie ein Talisman.
»Was du dort wollen, Mister? Jeder weiß, das nix guter Teil von Mulch, wenn du schlau, dann lieber draußen bleiben.«
»Das sagen mir die Leute andauernd«, antwortete ich. »Vielleicht solltest du einfach davon ausgehen, dass ich nicht so intelligent bin, wie ich aussehe.«
»Ich das nicht sagen, Mister. Du zahlen viel gut; du viel schlauer Mann. Ich dir nur geben guten Rat.«
»Danke, aber ich rate dir, jetzt einfach weiter zu fahren und auf die Straße zu achten. Alles andere kannst du mir überlassen.«
So tötete man jedes Gespräch, aber ich war nicht in Stimmung für banales Geplänkel. Stattdessen beobachtete ich, wie die schwarzen Gebäudemassen vorbeikrochen. Mit
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