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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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der Zeit wurden ihre bizarren Missbildungen immer mehr zur Normalität, bis ich schließlich das seltsame Gefühl hatte, letztlich sollten alle Städte so aussehen.
    Manche Teile des Mulch waren kaum vom Baldachin überwuchert, in anderen Bereichen konnte die Bebauung in luftiger Höhe kaum dichter sein, dort war vom Moskitonetz nichts mehr zu sehen, und selbst wenn die Sonne im Zenith stand, fiel kein Lichtstrahl auf den Boden. Das waren vermutlich die verrufensten Gegenden des Mulch; Zonen ewiger Nacht, wo das Verbrechen die Gesetze bestimmte und die Bewohner nicht weniger blutigen Spielen frönten als die über ihnen wohnende Aristokratie. Ich konnte den Rikschajungen nicht überreden, mich ins Herz des Slums zu bringen, also gab ich mich damit zufrieden, dass er mich am Rand absetzte.
    Mit einer Hand die Pistole in meiner Tasche umklammernd, stapfte ich Minuten lang durch knöcheltiefes Regenwasser, bis ich das Gebäude erreichte, das Zebra mir beschrieben hatte. Dort kauerte ich mich in eine Nische, die mir ein wenig Schutz vor dem Regen bot, und wartete, bis auch das letzte spärliche Tageslicht verschwunden war und alle Schatten einmütig zu einem gewaltigen, die ganze Stadt überspannenden Leichentuch aus düsterem Grau verschmolzen.
    Und dann wartete ich weiter.
    Es wurde Nacht über Chasm City. Über mir gingen im Baldachin die Lichter an. Die ineinander verschlungenen Gebäudearme funkelten wie die Tentakel phosphoreszierender Meerestiere. Seilbahnen schwebten durch das Gewirr, hüpften von Kabel zu Kabel wie Kieselsteine auf den Wellen. Eine Stunde verging. Ich wechselte Dutzende von Malen die Stellung, aber jedes Mal setzten schon nach wenigen Minuten Muskelkrämpfe ein. Immer wieder holte ich die Waffe heraus und visierte daran entlang, irgendwann gönnte ich mir den Luxus, eine Kugel auf das gegenüberliegende Gebäude zu verschwenden. Ich wollte den Rückstoß spüren und ein Gefühl für die Zielgenauigkeit oder die Schwächen der Waffe bekommen. Niemand störte mich, und vermutlich war auch niemand nahe genug, um den hellen Knall der Pistole zu hören.
    Irgendwann kamen sie doch.

Sechsundzwanzig
    Zwei oder drei Straßen weiter sah ich, glatt und schwarz wie ein Stück Kohle, die Gondel herunterkommen. Die fünf Teleskoparme auf dem Dach wurden eingezogen. Die Seitentür ging auf, und vier Menschen drängten sich heraus. Verglichen mit den Waffen, die sie in den Armen hielten, war meine kleine Pistole nur ein schlechter Scherz. Zebra hatte mir gesagt, dass in dieser Nacht eine Jagdgesellschaft unterwegs sein würde, aber das war nicht ungewöhnlich; Jagden waren eher die Regel als die Ausnahme. Aber sie hatte mir – nach viel gutem Zureden – auch den vorgesehenen Schauplatz für das Blutbad verraten. Davon hing eine Menge ab, denn wenn der Abschuss nicht gelang, wären die zahlenden Zuschauer, die zu jedem dieser Ereignisse kamen, um ihr nächtliches Vergnügen gebracht.
    »Ich sage dir, wo es ist«, hatte sie erklärt. »Aber nur unter der Bedingung, dass du mir versprichst, dich fern zu halten. Ist das klar? Ich habe dich einmal gerettet, Tanner Mirabel, aber dann hast du mein Vertrauen missbraucht. Das war ein schwerer Schlag für mich. Meine Bereitschaft, dir ein zweites Mal zu helfen, wird dadurch nicht unbedingt größer.«
    »Du weißt genau, was ich mit der Information anfangen werde, Zebra.«
    »Ich denke schon. Wenigstens hast du mich nicht belogen, das muss ich dir lassen. Du bist tatsächlich ein Mann von Ehre, nicht wahr?«
    »Ich bin nicht ganz das, wofür du mich hältst, Zebra.« Das glaubte ich ihr schuldig zu sein, falls sie mich selbst noch nicht so weit durchschaut haben sollte.
    Sie hatte mir erklärt, welches Viertel für die Jagd geräumt worden war. Das Zielobjekt, so sagte sie, sei bereits gefunden und mit einem Implantat versehen worden – manchmal würden in einer einzigen Nacht gleich mehrere Menschen entführt. Dann versetzte man die Opfer in Tiefschlaf und bewahrte sie bis zum nächsten Termin auf.
    »Ist schon einmal jemand entkommen, Zebra?«
    »Du, Tanner.«
    »Nein, ich meine, wirklich entkommen, ohne Hilfe durch die Saboteure. Gibt es das?«
    »Manchmal«, sagte sie. »Manchmal – vielleicht sogar öfter, als man glaubt. Nicht, weil die Gejagten die Jäger überlisten könnten, sondern weil die Organisatoren es gelegentlich zulassen. Sonst würde es doch langweilig, meinst du nicht?«
    »Langweilig?«
    »Pas Element des Glücksspiels würde fehlen. Der

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