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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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dabei eine große Rolle, aber es ging nicht um sie allein. Angefangen hatten sie ganz normal. Ich war nicht unbedingt erfreut gewesen, als sie mich heimsuchten, aber da ich in groben Zügen zu wissen glaubte, was mich erwartete, hatte ich gehofft, sie heil überstehen zu können.
    Aber es war ganz anders gekommen.
    Die Träume – oder Episoden, denn inzwischen überfielen sie mich auch am hellen Tag – enthüllten eine verborgene Geschichte: weitere Verbrechen, von denen niemand ahnte, dass Sky sie begangen hatte. Dazu kam der Infiltrator, den er am Leben erhalten hatte; das sechste Schiff – die mythische Caleuche – und die Tatsache, dass Titus Haussmann Sky für einen Unsterblichen gehalten hatte. Aber Sky Haussmann war doch tot, oder etwa nicht? Hatte ich seinen gekreuzigten Leichnam in Nueva Valparaiso nicht mit eigenen Augen gesehen? Selbst wenn dieser Leichnam eine Fälschung gewesen sein sollte, so war doch offiziell dokumentiert, dass man Haussmann in den dunklen Tagen nach der Landung gefangen genommen, inhaftiert, vor Gericht gestellt, verurteilt und hingerichtet hatte, und das alles vor den Augen des Volkes.
    Wie kam ich also dazu, an seinem Tod zu zweifeln?
    Das ist nur das Indoktrinationsvirus, das dir im Kopf herumspukt, sagte ich mir.
    Doch Sky war nicht das Einzige, was mich beunruhigte, als ich einschlief.
 
    Ich stand auf einem Aussichtsbalkon und schaute hinab in einen rechteckigen Raum, der mir wie ein Verlies oder eine Bärengrube vorkam. Wände und Fußboden waren mit glatten, blendend weißen Keramikfliesen verkleidet, aber große, glänzend grüne Farne und kunstvoll arrangierte Äste sorgten für eine Dschungelkulisse. Und auf dem Boden lag ein Mann. Der Raum kam mir bekannt vor.
    Der Mann war nackt und hatte sich wie ein Fötus zusammengerollt. Er sah aus, als hätte man ihn eben erst zum Aufwachen dort hingelegt. Seine Haut war bleich und mit einer glänzenden Schweißschicht überzogen wie mit Zuckerguss. Nun hob er langsam den Kopf, schlug die Augen auf, sah sich um und versuchte langsam auf die Beine zu kommen – versuchte es und sackte kraftlos in eine etwas andere Stellung zurück als zuvor. Stehen konnte er nicht, weil ein Bein gleich unter dem Knöchel in einem glatten, unblutigen Stumpf endete, der abgebunden war wie ein Wurstzipfel. Trotzdem unternahm er einen neuen Versuch, und diesmal erreichte er, auf einem Bein hüpfend, eine Wand, bevor er abermals das Gleichgewicht verlor. Unaussprechliches Grauen spiegelte sich in seinem Gesicht. Er fing an zu schreien und steigerte sich rasch in kopflose Verzweiflung hinein.
    Ein Zittern überlief ihn. Und dann regte sich etwas auf der anderen Seite des Raums, wo in die weiße Wand eine dunkle Nische eingelassen war. Was immer es war, es bewegte sich langsam und lautlos, aber der Mann spürte seine Gegenwart und kreischte wie ein Schwein, das geschlachtet wurde. Das Ding ließ sich, ein Bündel dunkler Schlingen von der Dicke eines menschlichen Oberschenkels, aus seiner Nische zu Boden fallen. Noch immer bewegte es sich träge, der Kopf mit der Haube hob sich, um die Luft zu prüfen, bevor sich weitere Teile des Körpers ins Freie zwängten. Der Mann musste jetzt sein Geschrei immer wieder unterbrechen, um Atem zu holen, und die jähen Pausen machten sein Entsetzen noch deutlicher. Ich selbst spürte nur gespannte Erwartung. Das Herz klopfte mir bis zum Hals, als die Hamadryade auf den armen Teufel zukroch, für den es kein Entrinnen gab.
    In Schweiß gebadet erwachte ich.
 
    Wenig später schlenderte ich durch die Straßen. Ich hatte fast den ganzen Nachmittag verschlafen, und obwohl ich mich nicht unbedingt erquickt fühlte – der Aufruhr in meinem Innern war sicher sehr viel größer als zuvor –, war ich zumindest vor Müdigkeit nicht mehr völlig gelähmt. Ich ließ mich mit dem trägen Strom des Mulch treiben: Fußgänger, Rikschas, Fahrzeuge mit Dampf- und Methanmotoren, hin und wieder ein Palankin, ein Volantor oder eine Seilbahn, die aber nie länger verweilten. Ich stellte fest, dass ich weniger Aufmerksamkeit erregte als bei meiner Ankunft in der Stadt. Mit meinem unrasierten Gesicht und den müden, tief in den Höhlen liegenden Augen schien ich mich besser in den Mulch einzufügen.
    Gegen Abend öffneten weitere Verkäufer ihre Buden, manche hängten bereits Laternen auf, um für die Dunkelheit gerüstet zu sein. Ein hässliches wurmförmiges Methan-Luftschiff zog schwerfällig über den Himmel. Aus der Gondel unter

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