Chasm City
Baldachin wäre immer der Gewinner.«
»Und das darf natürlich nicht sein«, sagte ich.
Ich beobachtete, wie die Jäger durch den Regen schlichen, die Gewehre im Anschlag, die maskierten Gesichter von einer Seite zur anderen schwenkend, jeden Winkel absuchend. Die Zielperson musste erst vor wenigen Minuten heimlich in dieser Region abgesetzt worden sein. Vielleicht war sie nicht einmal ganz wach gewesen, sondern kam – wie der nackte Mann in dem Raum mit den weißen Wänden – erst zu sich und begriff allmählich, dass sie ihr Gefängnis mit einem namenlosen Ungeheuer teilte.
Es handelte sich um zwei Männer und zwei Frauen, und als sie näher kamen, sah ich, dass ihre Masken nicht nur praktischen Zwecken dienten, sondern auch Theaterdekoration waren. Die beiden Frauen traten als Katzen auf; die länglichen, spitz zulaufenden Augenschlitze waren vollgepackt mit Speziallinsen. Die Handschuhe waren mit Krallen versehen, und wenn sich die schwarzen Umhänge mit dem hohen Kragen teilten, konnte ich darunter Tigerstreifen und Leopardenflecke erkennen. Ich begriff nicht gleich, dass es sich dabei nicht um Kostüme handelte, sondern um ein synthetisch gezüchtetes Fell, und dass die krallenbewehrten Handschuhe keine Handschuhe waren, sondern nackte Hände. Als eine von den Frauen über einen grausamen Scherz ihrer Freunde lächelte, blitzten edelsteinbesetzte Reißzähne auf. Die Transformationen der Männer waren weniger spektakulär, sie hatten sich doch tatsächlich darauf beschränkt, sich als Tiere zu verkleiden. Einer der Männer hatte sich einen Bärenschädel über den Kopf gestülpt, sein Gesicht schaute durch das Maul heraus. Sein Begleiter hatte zwei hässliche, facettierte Insektenaugen angelegt, in denen sich in allen Regenbogenfarben schillernd die Lichter des Baldachins spiegelten.
Ich wartete, bis die Gruppe nur noch zwanzig Meter von meinem Versteck entfernt war, dann trat ich in Aktion und lief geduckt wie eine Krabbe vor ihnen vorbei. Ich baute darauf, dass mich keiner so schnell ins Visier bekäme, und der Erfolg gab mir Recht, obwohl sie besser waren, als ich gedacht hatte. Die Schüsse ließen hinter mir das Wasser aufspritzen, ohne mich zu treffen, bevor ich auf der anderen Straßenseite in Deckung ging.
»Das ist der Falsche!«, rief einer der Jäger, wahrscheinlich eine von den Frauen. »Er hat hier eigentlich gar nichts verloren!«
»Wer immer es sein mag, er kriegt eins übergebrannt. Wir schwärmen aus und holen uns den kleinen Dreckskerl.«
»Ich sage dir doch, es ist der Falsche! Er müsste drei Straßen weiter südlich sein – und selbst wenn er es wäre, warum sollte er seine Deckung verlassen?«
»Einfach deshalb, weil wir ihn im nächsten Moment aufgestöbert hätten!«
»Er war zu schnell. Die Mulcher sind gewöhnlich viel langsamer.«
»Du wolltest doch immer eine Herausforderung. Also, worüber beklagst du dich?«
Ich wagte es, den Kopf aus meiner schützenden Nische zu strecken, um mich umzusehen. Ausgerechnet in diesem Moment zuckte ein Blitz auf und tauchte die Gruppe in grelles – Licht.
»Ich habe ihn gesehen!«, rief die zweite Frau, dann hörte ich das Jaulen eines Strahlengewehrs, dicht gefolgt vom Rülpsen mehrerer Projektilwaffen.
»Habt ihr das gesehen? Seine Augen?«, sagte die eine Frau. »Man sah sie richtig leuchten!«
»Jetzt siehst du allmählich Gespenster, Chanterelle.« Das war einer der Männer, vielleicht der mit dem Bärenschädel. Es war sehr nahe. Ich sah die vier so deutlich vor mir, als wäre mir das Bild auf die Netzhaut gebrannt, und spulte den Film im Geiste vorwärts und ließ sie, wie Schauspieler, die einer Regieanweisung folgten, genau dahin wandern, wo ich sie vermutete. Dann verließ ich meine Deckung und gab – drei schrille Piepstöne – drei Schüsse aus meiner Pistole ab. Was ich sah, passte so genau zu dem Bild in meinem Kopf, dass ich mein Ziel kaum zu korrigieren brauchte. Ich hatte so tief gehalten, dass drei von den vieren mit Oberschenkeltreffern zu Boden gingen. Beim letzten Mal schoss ich bewusst vorbei und zog mich danach mit einem Sprung hinter die Wand zurück.
Mit einem durchschossenen Oberschenkel bleibt niemand auf den Beinen. Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber ich glaubte tatsächlich zu hören, wie die drei Körper in die Pfützen klatschten. Sicher konnte ich nicht sein, denn mit einem durchschossenen Oberschenkel bleibt auch kaum jemand stumm. Meine Verwundung in der Nacht zuvor war vergleichsweise
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