Chasm City
was ist mit seinem Freund? Vielleicht hatten Vadim und Quirrenbach auf mehr als einem Gebiet zusammengearbeitet: vielleicht war Quirrenbach der Händler, und Vadim war nur sein Vertreter für den Rostgürtel.
Ich wollte ohnehin noch einmal mit Quirrenbach sprechen. Mittlerweile hatte ich eine ganze Latte von Fragen an ihn.
»Mag sein, dass Ihr Freund nicht allzu dicht an der Quelle saß«, sagte Chanterelle. »Aber eines müssen Sie wissen. Die vielen Geschichten, die Sie über Gideon gehört haben, über Menschen, die verschwanden, weil sie die falschen Fragen stellten?«
»Ja?«, fragte ich.
»Sie sind alle wahr.«
Danach ließ ich mich von Chanterelle zu den Palankin-Rennen führen. Ich hielt es nicht für ausgeschlossen, dass Reivich bei einem solchen Ereignis auftauchte, aber so eifrig ich auch die Zuschauermenge absuchte, ich sah niemanden, der infrage gekommen wäre.
Die Rennbahn war kompliziert und führte in Schleifen nach oben und unten durch viele Etagen. Hin und wieder verließ sie sogar das Gebäude und hing hoch über dem Mulch im Freien. Verschiedene Schikanen, Hindernisse und Fallen waren eingebaut, und die Abschnitte unter dem Nachthimmel waren nicht eingezäunt, sodass ein Palankin ungebremst in die Tiefe stürzen konnte, wenn sein Besitzer zu scharf in die Kurve ging. An jedem Rennen nahmen zehn oder elf kunstvoll verzierte wandelnde Kisten teil, und strenge Regeln bestimmten, was erlaubt war oder nicht. Chanterelle sagte freilich, die Regeln würden nicht ganz ernst genommen, es sei nicht ungewöhnlich, dass jemand seinen Palankin mit Waffen ausrüste, um andere Teilnehmer zu behindern – oder mit einem ausfahrbaren Rammsporn einen Rivalen auf den ausgesetzten Etappen über die Kante zu stoßen.
Angefangen hätten die Rennen mit einer aus Langeweile abgeschlossenen Wette zwischen zwei unsterblichen Palankin-Fahrern. Doch jetzt könne fast jeder daran teilnehmen. Die Hälfte der Palankine würde von Leuten gefahren, die von der Seuche nichts zu befürchten hätten. Oft würden in einer Nacht größere Vermögen verloren oder gewonnen – meistens verloren.
Vermutlich immer noch besser als die Jagd auf Menschen.
»Hören Sie«, sagte Chanterelle, als wir die Rennen verließen. »Was wissen Sie von den Meistermischern?«
»Nicht allzu viel«, sagte ich zurückhaltend. Der Name war mir vage vertraut, aber mehr auch nicht. »Warum fragen Sie?«
»Sie haben wirklich keine Ahnung, wie? Damit ist auch der letzte Zweifel beseitigt. Sie sind wirklich nicht von hier.«
Die Meistermischer hatten schon vor der Schmelzseuche existiert und gehörten zu den vergleichsweise wenigen alten gesellschaftlichen Gruppen, die die Katastrophe halbwegs intakt überstanden hatten. Wie die Eisbettler waren sie eine eigenständige Organisation, und wie die Eisbettler beschäftigten sie sich mit Gott. Aber damit waren die Übereinstimmungen auch schon erschöpft. Die Eisbettler sahen – was sie auch sonst an Zielen vertreten mochten – ihren Daseinszweck darin, ihrer Gottheit zu dienen und sie zu verherrlichen. Die Meistermischer dagegen wollten Gott werden.
Und das war ihnen – in mancher Hinsicht – schon vor langer Zeit gelungen.
Als die Amerikanos vor fast vierhundert Jahren Yellowstone besiedelten, brachten sie alle genetischen Errungenschaften ihrer Kultur mit: Genomsequenzen, Kopplungs- und Funktionskarten für buchstäblich Millionen von terranischen Spezies einschließlich aller höheren Primaten und Säugetiere. Sie waren in der Genetik zu Hause. Schließlich hatten sie es ihr zu verdanken, dass sie überhaupt nach Yellowstone gekommen waren: sie hatten sich selbst als befruchtete Eier mit zerbrechlichen Transportrobotern auf die Reise geschickt; nach der Ankunft hatten die Maschinen künstliche Gebärmütter hergestellt und die Eier darin reifen lassen. Die erste Generation hatte natürlich nicht lange überlebt – aber ihr Erbe hatte überdauert. DNA-Sequenzen erlaubten es späteren Nachkommen, das Blut der Amerikanos mit ihrem eigenen zu mischen und damit zur Biodiversifikation der zweiten Siedlerwelle beizutragen, die nicht mit samentragenden Robotern, sondern mit Schiffen kam.
Die Amerikanos hatten noch mehr hinterlassen – nämlich riesige Dateien mit Informationen, Fachwissen, das nicht in Vergessenheit geraten, aber so eingerostet war, dass subtilere Beziehungen und Abhängigkeiten nicht mehr wahrgenommen wurden. Diesen Schatz nahmen die Meistermischer in ihre Obhut. Sie machten
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