Chasm City
ich.
»Dieser Herr hier«, erklärte der Meistermischer mit deutlicher Betonung auf dem Wort ›Herr‹, »besuchte mich gestern, um mit mir über gewisse genetische und strukturelle Anomalien in seinen Augen zu sprechen. Dabei behauptete er, die Anomalien seien das Ergebnis eines unfachmännisch durchgeführten Eingriffs durch Blutverschneider. Ich war sogar bereit, ihm zu glauben, obwohl die bearbeiteten Sequenzen die üblichen Blutverschneider-Signaturen vermissen ließen.«
»Und jetzt?«
»Jetzt glaube ich, dass die Veränderungen von einer ganz anderen Gruppe vorgenommen wurden. Soll ich deutlicher werden?«
»Wir bitten darum.«
»Die Arbeit zeigt gewisse Signaturen, die darauf hinweisen, dass die Sequenzen mit gentechnischen Methoden eingefügt wurden, wie sie bei den Ultras Verwendung finden. Diese Methoden sind den Verfahren der Blutverschneider oder Meistermischer weder über- noch unterlegen – sie sind nur anders und sehr individuell. Ich hätte das viel früher erkennen müssen.« Sichtlich beeindruckt von seiner eigenen Schlussfolgerung, gestattete er sich ein Lächeln. »Wenn die Meistermischer genetische Veränderungen vornehmen, sind diese im Allgemeinen von Dauer, es sei denn, der Klient hätte andere Wünsche. Das heißt in den meisten Fällen nicht, dass sie nicht rückgängig zu machen wären – es heißt nur, dass der neue genetische und physiologische Zustand gegen Rückfälle in die ältere Form stabil ist. Bei den Blutverschneidern ist es nicht anders, einfach deshalb, weil die Blutverschneider-Sequenzen meist Raubkopien von Meistermischer-Patenten sind und die Verschneider nicht raffiniert genug sind, um in diese Sequenzen Alterungsprozesse einzubetten. Sie stehlen den Code, aber sie knacken ihn nicht. Die Ultranauten gehen ganz anders vor.« Der Meistermischer fasste sich mit seinen langen, schlanken Fingern ans Kinn. »Ultras verkaufen ihre Patente mit integrierter Alterung; mit einer Mutationsuhr, wenn man so will. Ich will Ihnen die Einzelheiten ersparen, nur so viel: der Mechanismus aus Viren und Enzymen, mit dem die Expression der neuen Gene, die in Ihre DNA eingeschleust werden, gesteuert wird, enthält eine biologische Zeitkontrolle, eine Uhr, die auf die Zahl der Zufallsmutationen in einem fremden Referenz-DNA-Strang anspricht. Dabei versteht sich wohl von selbst, dass die Zellmaschinerie zur Unterdrückung oder Korrektur der veränderten Gene anspringt, sobald die Zahl der Fehler eine festgelegte Grenze überschreitet.« Wieder lächelte der Meistermischer. »Das ist natürlich gewaltig vereinfacht. Zum einen sind die Uhren so eingestellt, dass sie nur schleichend eingreifen, das heißt, die Produktion der neuen Proteine und die Ausdifferenzierung der Zellen in neue Typen kommt nicht schlagartig zum Stillstand. Andernfalls wären die Folgen fatal – besonders, wenn es durch die Veränderungen möglich würde, in einer an sich lebensfeindlichen Umgebung, etwa in mit Sauerstoff angereichertem Wasser oder in einer Ammoniak-Atmosphäre zu existieren.«
»Sie behaupten also, Ultras hätten sich an Tanners Augen zu schaffen gemacht?«
»Sie haben eine schnelle Auffassungsgabe. Aber das ist noch nicht alles.«
»Wie fast immer«, sagte ich.
Die Finger des Meistermischers tanzten über die Konsole und zupften wie an unsichtbaren Harfenseiten. Bald schwebten Unmengen von genetischen Daten durch die Luft, einzelne Sequenzen aus Ts, As, Gs und Cs wurden hervorgehoben und durch ein Netz von Linien verbunden. So entstanden verschiedene Karten für die Physiologie und die Funktion des menschlichen Auges und der entsprechenden Hirnregionen zur visuellen Verarbeitung. Er kam mir vor wie ein Zauberer, der plötzlich von einem ganzen Schwarm von – blutgierigen – Hausgeistern belagert wurde.
»Hier ist etwas sehr Merkwürdiges passiert«, sagte der Mann, als seine Finger ihren allzu flinken Tanz beendet hatten, und zeigte auf einen bestimmten Block von Basenpaaren oder Sprossen der DNA-Leiter. »Dies sind die Paare, bei denen man die Zufallsmutationen akkumulieren lässt; die innere Uhr.« Der Finger wanderte zu einem anderen markierten Block, der auf den ersten Blick identisch aussah. »Und das ist die Referenzkarte, die nicht mutierte DNA. Durch den Vergleich der beiden – die Registrierung der Mutationen – wird die Uhr angetrieben.«
»Viel scheint sich nicht verändert zu haben«, bemerkte Zebra.
»Ein paar statistisch unbedeutende Knotenlöschungen und
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