Chasm City
eine zweite Kreuzung passiert hatten, kamen sie noch besser voran. Sky blieb immer wieder stehen und bat Norquinco, sich zu vergewissern, dass sich die Leine nicht verheddert hatte und immer noch straff war, aber auch der Trägheitskompass arbeitete normal und zeichnete ihre Bewegungen relativ zum Einstiegspunkt getreulich auf.
Er schaltete das Funkgerät ein. »Gomez, kannst du mich hören?«
»Laut und deutlich. Was habt ihr gefunden?«
»Bisher noch nichts. Aber wir können ziemlich sicher davon ausgehen, dass dies nicht die Caleuche ist. Norquinco und ich sind sicher schon zwanzig Meter tief in den Rumpf vorgedrungen, aber wir bewegen uns immer noch durch eine massive Schicht.«
Gomez zögerte mit der Antwort. »Das ergibt keinen Sinn.«
»Nein. Jedenfalls nicht, so lange wir davon ausgehen, dass dies ein Schiff wie das unsere ist. Aber das glaube ich nicht mehr. Ich halte es für etwas anderes – etwas, womit wir ganz sicher nicht gerechnet hatten.«
»Glaubst du, es kam von zu Hause – man hätte es losgeschickt, nachdem wir gestartet waren?«
»Nein. Seitdem sind erst hundert Jahre vergangen, Gomez. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass man in dieser Zeit so etwas entwickelt haben sollte.« Sie rutschten weiter. »Es fühlt sich nicht an wie von Menschen gemacht. Es fühlt sich nicht einmal an wie eine Maschine.«
»Aber was immer es ist, von außen gleicht es einem von unseren eigenen Schiffen aufs Haar.«
»Richtig – bis man es aus der Nähe betrachtet. Ich würde vermuten, es hat seine Form unseren Schiffen angepasst; vielleicht zur Tarnung. Und es hat funktioniert, nicht wahr? Titus – mein Vater – glaubte immer daran, dass wir von einem weiteren Flottillenschiff verfolgt würden. Das beunruhigte ihn, aber es ließ sich mit irgendeinem Vorfall aus der Vergangenheit erklären. Hätte er gewusst, dass uns ein fremdes Schiff folgte, dann hätte er sich ganz anders verhalten.«
»Was hätte er denn tun können?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht die anderen Schiffe alarmieren. Auf jeden Fall hätte er angenommen, dass es feindliche Absichten hegte.«
»Vielleicht hatte er Recht.«
»Ich weiß es nicht. Es ist schon so schrecklich lange hier draußen. Und es war in all den Jahren nicht gerade aktiv.«
In diesem Moment geschah etwas – sie hörten oder spürten einen Ton, so voll wie der Klang einer riesigen Glocke. Da sie im Vakuum schwebten, mussten die Schwingungen durch den Rumpf übertragen worden sein.
»Gomez – was, zum Teufel, war das?«
Die Stimme war leiser geworden. »Ich weiß nicht – hier ist nichts passiert. Aber ich höre euch plötzlich sehr viel schlechter.«
Nach fast zwei Stunden sah ich senkrecht unter mir im Rohr etwas aufleuchten.
Es war nur ein matter goldener Schein, aber er kam näher.
Ich dachte an die Episode, die ich soeben durchlebt hatte. Ich spürte Skys Angst beim Betreten der Caleuche noch auf der Zunge, so hart und metallisch wie eine Gewehrkugel. Der Angst, die mich selbst erfüllte, zum Verwechseln ähnlich. Beide waren wir auf dem Weg in die finsteren Tiefen; beide suchten wir nach Antworten – oder nach einer Belohnung. Beide wussten wir auch, dass wir uns in große Gefahr begaben, ohne zu ahnen, worauf wir uns einließen. Die Übereinstimmung zwischen der Episode und dem, was ich soeben erlebte, war geradezu unheimlich. Sky überschwemmte mein Bewusstsein nicht mehr nur mit Bildern, er war einen Schritt weiter gegangen. Jetzt steuerte er mich und meine Handlungen so, dass sie an seine eigenen, längst vergangenen Taten erinnerten; ein Puppenspieler, der über dreihundert Jahre Geschichte hinweg seine Fäden zog. Ich ballte die Faust, denn ich erwartete, dass mir nach dieser Episode das Blut in Strömen aus der Hand liefe.
Doch meine Handfläche war vollkommen trocken.
Der Inspektionsroboter polterte weiter in die Tiefe. Quirrenbach konnte die Maschine schon seit einiger Zeit nicht mehr beschleunigen. Es war jetzt unerträglich heiß geworden, und vermutlich hätte keiner von uns diese Temperaturen länger als drei oder vier Stunden ausgehalten, ohne an einem Hitzschlag zu sterben.
Aber es wurde tatsächlich heller.
Bald sah ich auch, warum. Wir näherten uns langsam einem Rohrabschnitt mit schmutzigen Glaswänden. Quirrenbach drehte die Maschine, damit wir nicht so leicht zu erkennen wären, wenn der Roboter den transparenten Abschnitt passierte. Trotzdem hatte ich einen guten Blick auf den dunklen Raum dahinter, eine Höhle mit
Weitere Kostenlose Bücher