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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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wissen?«
    »Weil ich Clown bin.« Der ewig lächelnde Mund verzog sich zu einem maskenhaften Grinsen. »Clown weiß alles.« Bevor Sky fragen konnte, was damit gemeint war, leuchtete plötzlich ein Licht auf, ein Blitz, sehr grell und völlig lautlos. Er war durch eines der vielen Fenster an der einen Wand gekommen. Wenn Sky blinzelte, sah er es noch als Geisterbild: ein scharf umgrenztes, rosarotes Rechteck.
    »Was war das?«, fragte er und blinzelte wieder.
    Aber mit Clown, ja, mit der ganzen Umgebung war irgendetwas nicht in Ordnung. Der Blitz hatte Clown nach allen Seiten auseinander gezogen und dabei grässlich verformt. Er war wie auf die Wände gemalt, das Gesicht zur Fratze erstarrt. Auch das Boot, in dem sie eben noch gestanden hatten, war zu einer abscheulichen Masse zerflossen. Es war, als hätte jemand mit einem Stock in einem Bild herum gerührt, bevor die Farbe ganz trocken war.
    Das hatte sich Clown bisher noch nie erlaubt.
    Doch es kam noch schlimmer. Die leuchtenden Bilder an den Wänden – die Lichtquelle des Raums – wurden schwächer und erloschen schließlich vollends. Nur durch die Fenster hoch oben unter der Decke fiel noch ein milchig trüber Schein. Und auch der verschwand nach einer Weile. Sky war in völliger Dunkelheit allein.
    »Clown?«, fragte er, zuerst leise, dann immer drängender.
    Clown antwortete nicht. Sky spürte tief in seinem Innern ein ungewohntes, ja beklemmendes Gefühl; diese Angst, diese Unsicherheit waren die Reaktionen eines normalen Dreijährigen, wie weggeblasen war die altkluge Überlegenheit, die Sky sonst vor anderen Kindern seines Alters auszeichnete. Jetzt war er nur ein kleiner Junge, der allein im Dunkeln saß und nicht verstand, was um ihn herum geschah.
    Wieder rief er nach Clown, doch jetzt klang Verzweiflung aus seiner Stimme; er hatte begriffen, dass Clown ihm inzwischen sicher geantwortet hätte, wenn das möglich gewesen wäre. Nein; Clown war fort; das helle Kinderzimmer war dunkel und – ja – kalt geworden, und er hörte nichts; nicht einmal die normalen Hintergrundgeräusche der Santiago.
    Sky kroch auf allen vieren durch das Zimmer, bis er eine Wand erreichte, dann tastete er sich daran entlang und suchte nach der Tür. Doch wenn die Tür geschlossen wurde, verschmolz sie mit der Wand, und er fand den haarfeinen Spalt nicht, der ihm verraten hätte, wo sie war. Auf der Innenseite gab es weder Klinke noch Schalter. Normalerweise – wenn er nicht gerade unter Arrest stand – hätte Clown ihm jederzeit die Tür geöffnet.
    Bevor Sky selbst zu einer angemessenen Reaktion finden konnte, stellte er fest, dass ohne sein Zutun etwas mit ihm geschah. Er fing zu weinen an; und das hatte er schon so lange nicht mehr getan, dass er sich kaum noch erinnern konnte, wie das war.
    Er weinte und weinte, bis er schließlich keine Tränen mehr hatte und seine Augen sich wund anfühlten, wenn er sie rieb.
    Wieder rief er nach Clown, dann lauschte er angestrengt, aber es war noch immer nichts zu hören. Auch Schreien half nichts, und irgendwann tat ihm der Hals so weh, dass er damit aufhörte.
    Das alles hatte wahrscheinlich nicht mehr als zwanzig Minuten gedauert, doch dann dehnte sich die Zeit. Eine Stunde verging unter Qualen, dann vielleicht zwei und schließlich ein Vielfaches davon. Die Zeit wäre ihm in jedem Fall lang geworden, aber da er nicht wusste, woran er war – sollte er womöglich härter bestraft werden, als sein Vater gesagt hatte? –, erschien sie ihm wie eine Ewigkeit. Irgendwann konnte er nicht mehr glauben, dass Titus ihn so quälen würde. Am ganzen Körper zitternd, malte er sich die grässlichsten Szenarien aus. Vielleicht hatte sich das Kinderzimmer vom Rest des Schiffes gelöst, er stürzte allein durch den Weltraum, und die Santiago – die ganze Flottille – blieb immer weiter zurück. Und bis irgendjemand ihn vermisste, wäre es längst zu spät, um etwas zu seiner Rettung zu unternehmen. Vielleicht waren auch Ungeheuer aus dem All in das Schiff eingedrungen und hatten lautlos alle Insassen ausgerottet. Vielleicht war er der einzige Mensch an Bord, den sie noch nicht gefunden hatten, aber das war sicher nur eine Frage der Zeit…
    Irgendwo seitlich war ein Scharren zu hören.
    Es waren natürlich die Erwachsenen. Die Tür ließ sich nicht ohne Weiteres öffnen, doch dann floss ein bernsteinfarbener Lichtstreifen über den Boden auf ihn zu. Als Erster trat sein Vater in den Raum, begleitet von vier oder fünf anderen Erwachsenen,

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