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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Vase in einer Nische in der Wand war der einzige Schmuck.
    Ich starrte die Vase erschrocken an.
    Sie hatte etwas an sich, das mich mit Grauen erfüllte; einem Grauen, das ich sofort als irrational erkannte, ohne mich dagegen wehren zu können. Vielleicht hast du ja einen Hirnschaden davongetragen, sagte ich laut zu mir selbst, du kannst zwar noch sprechen, aber irgendwo im limbischen System oder wo auch immer die Neuerung namens Angst verwaltet wird, die einst für die Säugetiere eingeführt wurde, ist etwas kaputtgegangen. Doch als ich meiner Angst nachspürte, erkannte ich, dass sie gar nicht von der Vase ausgelöst wurde.
    Es war die Nische.
    Sie war ein Versteck: etwas Entsetzliches lauerte darin. Sobald mir das aufging, drehte ich durch. Mein Herz raste. Ich musste hier raus; weg von diesem Ding, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ, obwohl ich wusste, dass es keinen Grund dafür gab. Der Raum hatte an einer Seite einen offenen Durchgang nach ›draußen‹ – was das auch immer sein mochte.
    Ich taumelte ins Freie.
    Gras unter meinen Füßen; ich stand auf einem Stück Rasen, feucht und kurz geschoren, auf zwei Seiten von Felsen und Gestrüpp begrenzt. Die Hütte, in der ich aufgewacht war, klebte hinter mir an einem Hang und drohte von Gestrüpp überwuchert zu werden. Dahinter stieg der Hang weiter an, wurde zunehmend steiler, bis er die Senkrechte erreichte, und wölbte sich dann schwindelerregend im Bogen nach vorne, sodass das üppige Grün wie chinesischer Spinat an den Wänden einer Schale klebte. Die Entfernung war schwer zu schätzen, aber der Himmel dieser Welt befand sich wohl ungefähr einen Kilometer über meinem Kopf. Zur vierten Seite hin fiel das Gelände ein wenig ab, um dann jenseits eines winzigen Tales erneut anzusteigen, immer und immer weiter, bis es schließlich die Fläche berührte, die sich hinter mir empor wölbte.
    Hinter dem Gestrüpp und den Felsen zu beiden Seiten waren in der Ferne, leicht bläulich und etwas verzerrt durch trübe Luftschichten, die beiden Enden der Welt zu erkennen. Auf den ersten Blick glaubte ich in einem langgestreckten, zylinderförmigen Habitat zu stehen, doch das war nicht der Fall: die Wände strebten an beiden Enden zusammen, das Gebilde hatte also wohl eher die Form einer Spindel: zwei mit der Grundfläche aneinander gesetzte Kegel. Meine Hütte musste sich mehr oder weniger an der breitesten Stelle befinden.
    Ich zermarterte mir das Gehirn nach gängigen Habitat-Formen, fand aber nichts bis auf das hartnäckige Gefühl, dass irgendetwas hier nicht stimmte.
    Ein grell leuchtendes, blauweißes Filament zog sich der Länge nach durch das ganze Habitat: eine geschlossene Plasma-Röhre, die sich wahrscheinlich dämpfen und abschirmen ließ, wenn man Abendstimmung oder Dunkelheit simulieren wollte. Die Pflanzendecke war mit kleinen Wasserfällen und schroffen Felswänden aufgelockert, ein kunstvolles Arrangement, das an ein japanisches Aquarell erinnerte. Auf der anderen Seite der Welt zogen sich terrassenförmig angelegte Gärten empor; ein Flickenteppich verschiedenster Beete wie eine Pixelmatrix. Hier und dort waren andere Hütten dazwischen gestreut wie weiße Kieselsteine, gelegentlich auch ein größeres Gebäude oder ein ganzes Dorf. Gepflasterte Straßen schlängelten sich um das Tal herum und verbanden die Hütten und Gemeinden miteinander. An den Endpunkten der beiden Kegel lagen die Gebäude näher an der Drehachse des Habitats, dort musste die künstliche Schwerkraft geringer sein. War das vielleicht der Grund, warum man diese Form des Habitats gewählt hatte?
    Bevor ich mich allen Ernstes fragen konnte, wo ich war, kam etwas aus dem Gestrüpp gekrochen und tastete sich auf kunstvoll gegliederten Metallbeinen auf die Lichtung. Meine Hand schien davon auszugehen, dass ich bewaffnet war, sie legte sich ganz selbstverständlich um eine nicht vorhandene Pistole.
    Die Maschine blieb stehen und tickte leise vor sich hin. Auf den Spinnenbeinen saß ein eiförmiger grüner Körper ohne jede Aufschrift, nur mit einer leuchtend blauen Schneeflocke markiert.
    Ich trat zurück.
    »Tanner Mirabel?«
    Die Stimme kam aus der Maschine, aber es war nicht die Stimme des Roboters, sondern die eines Menschen, einer Frau, und sie klang etwas unsicher.
    »Ich weiß nicht.«
    »Du meine Güte. Mein Castellano ist nicht besonders gut…« Sie hatte Norte gesprochen, doch jetzt wechselte sie, noch zögernder als vorher, in die Sprache, die ich verwendet hatte.

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