Chasm City
die Sky nicht erkannte, große gebückte Gestalten mit Taschenlampen in den Händen. Aschfahle Gesichter, würdevoll wie die Könige im Märchen. Die Luft, die in den Raum strömte, war kälter als sonst – Sky zitterte noch mehr –, und die Erwachsenen hatten Rauchwolken vor dem Mund wie feuerspeiende Drachen.
»Es ist ihm nichts geschehen«, sagte Skys Vater zu einem der anderen Erwachsenen.
»Das ist gut, Titus«, antwortete der andere. »Wir bringen ihn an einen sicheren Ort, dann suchen wir weiter.«
»Schuyler, komm her.« Sein Vater kniete nieder und breitete die Arme aus. »Komm her, mein Junge. Jetzt ist alles gut. Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Wie ich sehe, hast du geweint.«
»Clown ist fortgegangen«, brachte Sky heraus.
»Clown?«, fragte einer der anderen.
Sein Vater drehte sich um. »Das Erziehungsprogramm des Kinderzimmers, nicht weiter schlimm. Das war natürlich eine der ersten nicht lebenswichtigen Funktionen, die eingestellt wurden.«
»Mach, dass Clown zurückkommt«, bat Sky. »Bitte.«
»Später«, sagte sein Vater. »Clown… ruht sich nur ein wenig aus. Bis du dich umsiehst, ist er wieder da. Und du, mein Junge, hast jetzt sicher Hunger oder Durst, nicht wahr?«
»Wo ist Mutter?«
»Sie ist…« Sein Vater stockte. »Sie kann jetzt nicht zu dir kommen, Schuyler, aber sie lässt dir sagen, dass sie dich sehr lieb hat.«
Einer von den anderen Männern fasste seinen Vater am Arm. »In der Krippe bei den anderen Kindern ist er bestimmt besser aufgehoben, Titus.«
»Er ist nicht wie die anderen Kinder«, sagte sein Vater.
Jetzt führten sie ihn in die Kälte hinaus. Vor und hinter dem kleinen Lichtkreis, den die Taschenlampen der Erwachsenen erzeugten, lag der Korridor vor dem Kinderzimmer in tiefer Dunkelheit.
»Was ist denn passiert?«, fragte Sky. Erst jetzt wurde ihm klar, dass nicht nur sein eigener Mikrokosmos durcheinander geraten war; auch die Welt der Erwachsenen war von den Ereignissen betroffen. So hatte er das Schiff noch nie erlebt.
»Etwas sehr, sehr Schlimmes«, sagte sein Vater.
Fünf
Ich wurde jäh aus meinem Traum von Sky Haussmann gerissen. Im ersten Moment glaubte ich mich noch in einem anderen Traum zu befinden, einem Traum, in dem Trauer und Verwirrung eine beängstigend zentrale Rolle spielten.
Dann wurde mir klar, dass es gar kein Traum war.
Ich war hellwach, aber die Hälfte meines Bewusstseins schien noch fest zu schlafen: der Bereich nämlich, der meine Erinnerungen, meine Identität und das irgendwie tröstliche Wissen enthielt, wie ich dahin gekommen war, wo ich mich jetzt befand; alle Fäden also, die mich mit der Vergangenheit verbanden. Mit welcher Vergangenheit? Ich dachte, wenn ich zurück schaute, würde irgendwann das eine oder andere Detail erkennbar werden – ein Name, ein Hinweis auf meine Person –, aber ich bewegte mich wie durch dichten, grauen Nebel.
Immerhin konnte ich noch Dinge benennen; die Sprache hatte ich also nicht verloren. Ich lag auf einem harten Bett unter einer dünnen braunen Wolldecke. Ich fühlte mich wach und ausgeruht – und zugleich vollkommen hilflos. Als ich mich umsah, ›klingelte‹ es nicht; es gab nichts, was mir in irgendeiner Form vertraut gewesen wäre. Ich hielt mir die Hand vor die Augen und studierte das Netz von Adern auf dem Handrücken. Es war mir kaum weniger fremd.
Doch an meinen Traum erinnerte ich mich sehr genau. Er war unglaublich intensiv gewesen; nicht so wie richtige Träume – unzusammenhängend, mit wechselnden Perspektiven und logischen Sprüngen –, sondern wie ein Dokumentarfilm mit strenger Chronologie. Als wäre ich zusammen mit Sky Haussmann auf dem Schiff gewesen, als hätte ich zwar nicht ganz in seiner Haut gesteckt, ihn aber auf Schritt und Schritt verfolgt wie ein Phantom.
Etwas drängte mich, meine Hand umzudrehen.
Auf der Innenfläche prangte ein scharf umgrenzter rostroter Fleck aus geronnenem Blut. Ich untersuchte das Laken, auf dem ich lag, und fand auch dort Blutspritzer. Ich musste längere Zeit geblutet haben, bevor ich aufwachte.
Jetzt schien sich der Nebel an einer Stelle zu verdichten; ich bekam beinahe eine Erinnerung zu fassen.
Ich stieg aus dem Bett und sah mich um. Ich war nackt. Ein Raum mit rauen Wänden – nicht aus Fels gehauen, eher wie mit Lehm beworfen und nach dem Trocknen mit blendend weißer Stuckfarbe getüncht. Neben dem Bett standen ein Hocker und ein Schränkchen, beides aus einem Holz, das ich nicht kannte. Eine kleine braune
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