Chasm City
Mutter nicht im Innern des Schiffs war, denn bei ihr – obwohl Titus das bestritten hatte – fielen die Strafen im Allgemeinen etwas milder aus als bei seinem Vater. Sky hegte die leise Hoffnung, die Arbeiten am Rumpf hätten vielleicht weniger Zeit gekostet als geplant, dann wäre sie vor Schichtende zurückgekommen und würde im Kinderzimmer auf ihn warten. Aber sie war nirgendwo zu sehen.
»Hinein mit dir«, sagte Titus. »Clown wird sich um dich kümmern. Ich komme in zwei oder drei Stunden wieder, dann lass’ ich dich heraus.«
»Ich will da nicht hinein.«
»Natürlich nicht, sonst wäre es ja auch keine Strafe, nicht wahr?«
Die Tür ging auf. Titus schob seinen Sohn in den Raum, ohne selbst die Schwelle zu überschreiten.
Clown wartete bereits. »Hallo, Sky«, sagte er.
Im Kinderzimmer gab es viele Spielsachen. Mit einigen konnte man sich in begrenztem Umfang unterhalten – es gab sogar Momente, in denen so etwas wie Intelligenz aufblitzte. Sky ahnte, dass diese Spielsachen für Kinder seines Alters gedacht waren, abgestimmt auf die Weltsicht eines normalen Dreijährigen. Ihm waren die meisten schon bald nach seinem zweiten Geburtstag zu einfach, zu dumm erschienen. Aber Clown war anders; er war eigentlich kein Spielzeug, aber auch nicht wirklich eine Person. Clown war immer da gewesen, so lange Sky denken konnte. Er verließ das Kinderzimmer nie, war aber auch nicht immer anwesend. Clown konnte nichts anfassen, und Sky konnte ihn nicht berühren. Wenn Clown sprach, kam seine Stimme nicht genau von der Stelle, wo er stand – oder zu stehen schien.
Das sollte nicht heißen, dass Clown nur eine Ausgeburt von Skys Phantasie gewesen wäre, ein Scheinwesen ohne jeden Einfluss. Clown entging nichts, was im Kinderzimmer passierte, und wenn Sky etwas angestellt hatte und zurechtgewiesen werden musste, ließ Clown es sich nicht nehmen, Skys Eltern davon in Kenntnis zu setzen. Von ihm hatten die Eltern zum Beispiel erfahren, dass Sky das Schaukelpferd kaputt gemacht hatte und nicht – wie er ihnen hatte einreden wollen – eins von den anderen intelligenten Spielsachen. Sky war Clown deshalb sehr böse gewesen, aber nicht für lange, denn selbst er begriff, dass Clown sein einziger Freund war, abgesehen von Constanza, und dass Clown in manchen Dingen sogar noch klüger war als sie.
»Hallo«, sagte Sky mit Trauermiene.
»Du hast also Stubenarrest, weil du bei den Delphinen warst.« Clown stand allein in dem schlichten weißen Raum, alle anderen Spielsachen waren weggeräumt und nicht zu sehen. »Das war nicht richtig, Sky, das siehst du doch ein? Delphine hätte auch ich dir zeigen können.«
»Aber nicht die gleichen. Keine echten. Und die anderen hast du mir schon gezeigt.«
»Nicht so. Pass auf!«
Und plötzlich waren sie unter blauem Himmel in einem Boot mitten auf dem Meer. Ringsum sprangen Delphine aus den Wellen, glänzend wie nasse graue Kieselsteine im Sonnenlicht. Die Illusion war perfekt – bis auf die schmalen schwarzen Fenster an der einen Seite des Kinderzimmers.
In einem Bilderbuch hatte Sky einmal einen anderen Clown gefunden. Er trug einen bauschigen, gestreiften Anzug mit großen weißen Knöpfen, wirres rotes Haar umrahmte ein komisches, ewig lächelndes Gesicht, und auf dem Kopf trug er einen gestreiften Schlapphut. Als Sky das Bild berührte, bewegte sich der Clown, machte die selben Späße und schnitt ähnlich komische Grimassen wie sein eigener. Sky erinnerte sich noch dunkel, dass er früher einmal gelacht und geklatscht hatte, wenn Clown seine Späße machte, so als wären die Kapriolen eines Narren das Beste, was das Universum zu bieten hatte.
Inzwischen fand er sogar Clown allmählich langweilig. Sky ließ es sich nicht anmerken, aber ihr Verhältnis hatte eine tiefgreifende Wandlung erfahren, die sich nie wieder ganz rückgängig machen ließ. Clown war zu einem Objekt geworden, das man verstehen, analysieren und in Parameter fassen konnte. Sky begriff plötzlich, dass Clown mit dem Luftblasenbild vergleichbar war, das der Delphin ins Wasser gezeichnet hatte: er war eine Projektion, nur nicht aus Schall, sondern aus Licht geformt. Auch das Boot war nicht wirklich. Der Boden unter seinen Füßen fühlte sich noch genau so hart und flach an wie vorhin, als ihn sein Vater ins Zimmer geschoben hatte. Sky verstand nicht genau, wie die Illusion zustande kam, aber sie war vollkommen realistisch. Nirgendwo waren die Wände des Kinderzimmers zu sehen.
»Die Delphine im Tank
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