Chasm City
wäre es letztlich nur ein wenig erfreulicher Teil der Realität; etwas, das man ertragen musste, ohne dass man jemanden dafür verantwortlich machen konnte. Ich erinnerte mich auch, wie sehr mich diese defätistische Denkweise abgestoßen hatte.
Nein – nicht mich hatte sie abgestoßen, beteuerte ich mir selbst. Nicht mich, sondern Sky Haussmann.
So war es doch – oder nicht?
Ratko führte uns drei durch die roh behauenen Tunnel der Traumfeuer- Fabrik. Hin und wieder stießen wir auf größere schwach beleuchtete Räume mit Arbeitern in glänzenden grauen Kitteln. Hier gab es Tische, die mit chemischen Gerätschaften so vollgestellt waren, dass sie an Miniaturstädte aus Glas erinnerten. Wir sahen auch riesige Retorten mit vielen Litern dunklen, blutrot funkelnden Traumfeuers. Ganz am Ende der Produktionsstraße warteten Regale mit säuberlich abgefüllten Ampullen darauf, verteilt zu werden. Viele der Arbeiter trugen die gleichen Brillen wie Ratko. Für jede Stufe im Produktionsprozess schoben sich mit leisem Schwirren andere Speziallinsen vor die Augen.
»Wo bringst du uns hin?«, fragte ich.
»Du wolltest doch etwas zu trinken?«
Quirrenbach flüsterte: »Ich glaube, er bringt uns zu dem Mann. Der Mann hält dies alles in Gang, also unterschätzt ihn nicht – auch wenn er in einer ganz eigenen Welt lebt.«
»Gideon?«, fragte Zebra.
»Auch das gehört dazu«, sagte Ratko. Er hatte sie offensichtlich missverstanden.
Wir durchquerten eine weitere Serie von Produktionslabors und wurden in ein Büro mit unverputzten Wänden geführt. Ein uralter Mann saß – oder lag, das war nicht auf Anhieb zu erkennen – vor einem riesigen, verbeulten Schreibtisch aus Metall. Der Mann befand sich in einer Art Rollstuhl: einem plumpen, schwarzen, gepanzerten Gefährt, das leise vor sich hin gluckerte. Aus undichten Ventilen zischte Dampf. Von der Rückenlehne führten Versorgungsleitungen in die Wand, die sich wahrscheinlich abkoppeln ließen, wenn der Mann auf den schmalen Rädern mit den gewölbten Speichen herumfahren wollte.
Sein Körper verschwand fast völlig unter mehreren aluminiumbeschichteten Decken. Seitlich ragten zwei ausnehmend knochige Arme hervor, die linke Hand lag auf dem Schenkel, die rechte spielte mit einer Batterie von schwarzen Hebeln und Knöpfen, die in eine Armlehne eingelassen waren.
»Hallo«, sagte Zebra. »Sie müssen der Mann sein.«
Der Mann sah uns der Reihe nach an. Seine Haut spannte sich straff über die Knochen und war an manchen Stellen so dünn wie Pergament. Das verlieh ihm ein seltsam durchsichtiges Aussehen. Aber man spürte, dass er früher einmal sehr stattlich gewesen sein musste, und als sich seine Augen endlich auf mich richteten, schienen sie mich zu durchbohren wie zwei Splitter aus interstellarem Eis. Sein kräftiges Kinn war fast verächtlich vorgereckt. Die Lippen zuckten, als sei er im Begriff zu antworten.
Stattdessen glitt die rechte Hand über die Bedienungselemente und betätigte mit überraschender Geschwindigkeit Hebel und Knöpfe. Die dürren Finger wirkten so kräftig und bedrohlich wie die Krallen eines Geiers.
Als er die Hand wieder wegnahm, wurde es im Inneren des Stuhles lebendig. Ein rasend schnelles metallisches Rattern war zu hören. Als das Geräusch verstummte, begann der Stuhl zu sprechen. Die Worte wurden aus melodischen Pfiffen zusammengesetzt. Wenn man sich konzentrierte, konnte man sie sogar verstehen.
»Wie man sieht. Was kann ich für Sie tun?«
Ich riss die Augen auf. Ich hatte mir Gideon in den verschiedensten Farben ausgemalt, aber darauf war ich nun ganz und gar nicht gefasst.
»Sie könnten uns die Drinks geben, die Ratko uns versprochen hat.«
Der Mann nickte – eine äußerst sparsame Bewegung –, und Ratko trat an einen Schrank, der in einer Ecke des Büros in einer Felsnische stand, und kam mit zwei Gläsern voll Wasser zurück. Ich leerte das meine auf einen Zug. In Anbetracht der Tatsache, dass es wahrscheinlich bis vor kurzem noch Dampf gewesen war, war es sogar genießbar. Ratko reichte Zebra das zweite Glas. Sie nahm es mit sichtlichem Misstrauen, doch der Durst war offensichtlich stärker als die Angst, vergiftet zu werden. Ich stellte mein leeres Glas auf den verbeulten Schreibtisch.
»Ich hatte Sie mir etwas anders vorgestellt, Gideon.«
Quirrenbach versetzte mir einen Rippenstoß. »Das ist nicht Gideon, Tanner. Das ist…« Er verstummte und erklärte schließlich einigermaßen hilflos: »Wie ich schon sagte,
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