Chasm City
rief alle Captains zu einem Spitzengespräch zusammen. Balcazar und drei von den vier anderen hielten den Plan für gefährlich. Sie mahnten zur Vorsicht – wiesen darauf hin, dass wir noch vierzig oder fünfzig Jahre Zeit hätten, um den Vorschlag zu studieren, bevor wir eine Entscheidung treffen müssten. Angenommen, die Erde hätte in ihrem Entwurf einen Fehler entdeckt? Womöglich war eine entsprechende Warnung bereits unterwegs – eine dringende Botschaft, die ›Halt!‹, schrie – vielleicht hatten die Konstrukteure in ein oder zwei Jahren auch noch eine bessere Idee, die sich aber jetzt nicht realisieren ließ. Angenommen, wir folgten dem ersten Vorschlag und verbauten uns damit die Möglichkeit, den zweiten auszuführen?«
Wieder dachte Sky an jenen Blitz mit seiner reinigenden Kraft. »Und was ist nun mit der Islamabad passiert?«
»Wie gesagt, wir werden nie Gewissheit haben. Die Captains beendeten das Gespräch mit dem einstimmigen Beschluss, vorerst nichts zu unternehmen und weitere Informationen abzuwarten. Ein Jahr verging; die Diskussion wurde fortgesetzt – auch Captain Khan beteiligte sich daran – und dann geschah es.«
»Vielleicht war es doch ein Unfall.«
»Vielleicht«, sagte sein Vater skeptisch. »Vielleicht. Hinterher… Die Explosion richtete zum Glück keine schwereren Schäden an. Weder bei uns noch bei den anderen Schiffen. Sicher, anfangs sah es schlimm aus. Als uns die elektromagnetische Schockwelle traf, brannte die Hälfte unserer Systeme durch, und wir konnten nicht einmal all jene sofort wieder in Gang bringen, die für die Mission unentbehrlich waren. Es gab keinen Strom, mit Ausnahme der Notversorgung für die Schläfer und unsere eigene Magneteinschlussanlage. In unserem Teil des Schiffes – ganz vorne – hatten wir nichts. Keine Energie. Nicht einmal so viel, wie man brauchte, um die Luftaustauscher zu betreiben. Das hätte tödlich sein können, aber in den Korridoren war genügend Luft, und das verschaffte uns eine Gnadenfrist von einigen Tagen; die nützten wir, um provisorische Verbindungskabel einzuziehen und die nötigen Ersatzteile einzubauen. So brachten wir allmählich wieder alles in Gang. Natürlich wurden wir von Trümmern getroffen – die Islamabad wurde nicht völlig zerstört, als sie explodierte, und einige der Bruchstücke durchschlugen unser Schiff mit halber Lichtgeschwindigkeit. Auch wurde durch den Blitz unsere Rumpfabschirmung ziemlich stark verbrannt – deshalb ist das Schiff auf einer Seite dunkler als auf der anderen.« Sein Vater schwieg einen Augenblick, aber Sky ahnte, dass er noch nicht fertig war. »So kam deine Mutter ums Leben, Sky. Lucretia befand sich außerhalb des Schiffs, als es passierte. Sie war mit einer Technikermannschaft dabei, den Rumpf zu inspizieren.«
Sky hatte gewusst, dass seine Mutter an diesem Tag gestorben war – er hatte sogar gewusst, dass sie draußen gewesen war –, aber was genau mit ihr passiert war, hatte man ihm nie gesagt.
»Ist das der Grund, warum du mit mir hierher geflogen bist?«
»Fast.«
Das Taxi legte sich schräg und flog in einem weiten Bogen zur Santiago zurück. Skys Enttäuschung war nicht allzu groß. Zwar hatte er sich tatsächlich schwache Hoffnungen gemacht, der Ausflug würde ihn auch noch zu einem der anderen Schiffe führen, aber solche Besuche waren überaus selten. Stattdessen – vielleicht sollte er versuchen, sich ein paar Tränen abzuquetschen, wenn schon vom Tod seiner Mutter die Rede war, aber eigentlich war ihm nicht nach Weinen zumute – wartete er nun geduldig darauf, dass sein Heimatschiff aus dem Dunkel auftauchte wie ein freundlicher Küstenstreifen in stürmischer Nacht.
»Eines musst du begreifen«, sagte Titus endlich. »Das Gelingen unserer Expedition wird durch die Zerstörung der Islamabad nicht ernsthaft infrage gestellt. Immerhin sind noch vier Schiffe übrig – das sind viertausend Siedler für Journey’s End –, aber selbst wenn nur ein Schiff wohlbehalten die Zielwelt erreichte, könnten wir noch eine Kolonie gründen.«
»Du meinst, dass unser Schiff das einzige sein könnte, das heil ans Ziel kommt?«
»Nein«, sagte sein Vater. »Ich meine, wir könnten zu denen gehören, die nicht ankommen. Wenn du das erst begriffen hast, Sky – wenn du begriffen hast, dass jeder von uns entbehrlich ist –, dann wirst du schon sehr viel besser verstehen, welche Kräfte innerhalb der Flottille am Werk sind; welche Entscheidungen in fünfzig Jahren
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