Chasm City
möglicherweise getroffen werden müssen, wenn es zum Schlimmsten kommt. Merke dir nur: es genügt, wenn ein einziges Schiff auf Journey’s End eintrifft.«
»Aber wenn noch ein weiteres Schiff explodieren würde…«
»Zugegeben, diesmal würden wir wahrscheinlich keinen Schaden mehr nehmen. Seit die Islamabad hochging, haben wir den Abstand zwischen den Schiffen stark vergrößert. Das erhöht die Sicherheit, aber es erschwert die Pflege persönlicher Kontakte. Das könnte auf lange Sicht problematisch werden. Distanz kann Misstrauen erzeugen, und sie kann dazu verleiten, einen Feind nicht mehr als menschliches Wesen zu betrachten. Seinen Tod durchaus ins Kalkül zu ziehen.«
Titus’ Stimme war so kalt und gleichgültig geworden, dass Sky sie kaum wiedererkannte, doch nun mäßigte er seinen Ton. »Vergiss das nicht, Sky. Wir sitzen alle in einem Boot, auch wenn die Schwierigkeiten in der Zukunft noch größer werden sollten.«
»Glaubst du, das könnte geschehen?«
»Ich weiß es nicht, aber verringern werden sie sich wohl kaum. Und wenn das alles wichtig wird – wenn wir uns dem Ende der Reise nähern –, wirst du in meinem Alter sein, und du wirst eine verantwortliche Position bekleiden, vielleicht liegt sogar die Leitung des Schiffes in deinen Händen.«
»Hältst du das für möglich?«
Titus lächelte. »Ich wäre mir sogar ganz sicher – wenn es da nicht noch eine gewisse sehr begabte junge Dame mit Namen Constanza gäbe.«
Während sie redeten, waren sie der Santiago sehr viel näher gekommen, aber jetzt flogen sie aus einem anderen Winkel auf sie zu. Die massige Kommandosphäre erschien aus dieser Perspektive wie ein kleiner grauer Mond, von Fugen durchzogen und überwuchert von einer Kruste kastenförmiger Sensormodule. Sky dachte über Constanza nach, nachdem sein Vater sie schon erwähnt hatte, und fragte sich, ob sie von seinem Ausflug nicht vielleicht doch beeindruckt war. Immerhin war er draußen im Weltall gewesen, auch wenn er sie damit nicht so hatte überraschen können, wie er ursprünglich gehofft hatte. Und eigentlich hatte er das, was er dort gesehen – und erfahren – hatte, bisher doch ganz gut verkraftet.
Aber Titus war noch nicht mit ihm fertig.
»Sieh ganz genau hin«, sagte sein Vater, als die geschwärzte Seite der Sphäre in Sicht kam. »An dieser Stelle war deine Mutter mit dem Inspektionsteam beschäftigt. Sie hatten sich mit magnetischen Gurten am Rumpf festgemacht und arbeiteten ganz dicht an der Oberfläche. Das Schiff drehte sich natürlich – genau wie jetzt – und wäre das Glück mit ihnen gewesen, dann hätten sie im Augenblick der Explosion auf der anderen Seite gearbeitet. Aber durch die Rotation hatten sie das Unglücksschiff in diesem Moment genau im Blickfeld und wurden von der vollen Wucht der Detonation getroffen. Und sie trugen nur die leichten Raumanzüge.«
Jetzt verstand Sky, warum ihn sein Vater nach draußen gebracht hatte. Er hatte ihm nicht nur erzählen wollen, wie seine Mutter ums Leben gekommen war, er sollte auch nicht nur mit der grausigen Tatsache vertraut gemacht werden, dass ein Fünftel der Flottille nicht mehr existierte. Das alles war Teil des Szenariums, aber die wichtigste Botschaft befand sich hier, auf dem Rumpf des Schiffes.
Alles andere war nur das Vorspiel gewesen.
Als der Blitz sie traf, hatten sie zunächst mit ihren Körpern die schlimmste Strahlung abgefangen. Sie waren sofort verbrannt – später erfuhr Sky, dass sie wahrscheinlich keinen Schmerz gespürt hatten –, aber im Augenblick ihres Todes hatten sie Negativschatten hinterlassen; hellere Stellen auf dem weiträumig verkohlten Rumpf. Sieben menschliche Umrisse waren zu sehen, erstarrt in einer Haltung, die man nur als qualvoll bezeichnen konnte, obwohl es wahrscheinlich nur die natürliche Stellung war, in der sie gearbeitet hatten, als der Blitz sie traf. Ansonsten sahen sie alle gleich aus; welchen Schatten Skys Mutter geworfen hatte, war nicht festzustellen.
»Du weißt vermutlich, welcher Fleck der ihre ist?«, fragte Sky.
»Ja«, antwortete Titus. »Das heißt natürlich nicht, dass ich sie gefunden hätte – das war jemand anderer. Aber dennoch, ich weiß, welches der Schatten deiner Mutter war.«
Wieder sah Sky die Flecken an. Er wollte sie sich einbrennen in sein Gedächtnis, denn er wusste, dass er nie wieder den Mut aufbringen würde, hierher zu kommen. Später sollte er erfahren, dass man sich nie ernsthaft bemüht hatte, sie zu beseitigen;
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