Chasm City
ihm gefällt oder nicht, es war vollkommen richtig, mich über seine Pläne zu informieren. Nun denn, Tanner Mirabel. Wo sollen wir beginnen?«
»Wo immer Sie wollen; ich reise trotzdem ab.«
Hinter Duscha kam mit leisem Klicken einer der eiförmigen Roboter in die Hütte getrottet. Ich saß auf dem Bett und wollte aufstehen, aber Duscha legte mir mit festem Druck die Hand auf den Oberschenkel. »Nein; Schluss mit dem Unsinn. Sie gehen vorerst nirgendwo hin.«
Ich sah Amelia an. »Sagten Sie nicht, ich könnte gehen, wann immer ich will?«
»Oh, daran kann Sie natürlich niemand hindern, Tanner…« Amelias Beteuerung konnte mich nicht so recht überzeugen.
»Aber wenn er erst die Tatsachen kennt, wird er nicht mehr gehen wollen«, sagte Duscha und setzte sich neben mich aufs Bett. »Darf ich es Ihnen erklären? Als Sie aufgewärmt wurden, nahmen wir eine gründliche medizinische Untersuchung vor, Tanner – und konzentrierten uns dabei besonders auf Ihr Gehirn. Wir vermuteten eine Amnesie, aber wir mussten uns vergewissern, dass keine fundamentalen Schäden vorlagen und dass Sie keine Implantate hatten, die womöglich entfernt werden mussten.«
»Ich habe keine Implantate.«
»Nein. Aber Sie haben Schäden – wenn man so will.«
Sie schnippte mit den Fingern, und der Roboter trat näher. Auf dem Bett lag nichts mehr, obwohl ich bis vor einer Minute noch dabei gewesen war, die aufziehbare Pistole zusammenzubauen. Ich hatte so lange herumprobiert, bis ich das Ding halb fertig hatte, und als ich Amelia und Duscha über die Lichtung kommen sah, hatte ich es mit den restlichen Teilen unter das Kissen geschoben. Da lauerte es nun, und es war kaum noch möglich, es nicht für eine Waffe zu halten. Als die beiden meine Sachen untersuchten, mochten sie sich über die seltsam geformten Diamant-Teile den Kopf zerbrochen haben, aber sie hatten ihre Bedeutung vermutlich nicht erkannt. Jetzt hätten sie nur noch geringe Zweifel gehabt.
»Was für Schäden, Schwester Duscha?«, fragte ich.
»Das kann ich Ihnen zeigen.«
Ein Bildschirm schob sich aus dem Eierkopf des Roboters. Er zeigte einen langsam rotierenden violetten Schädel, der vollgepackt war mit geisterhaften Gebilden, die aussahen wie wolkig-trübe Tintenschlieren. Der Schädel war mir natürlich nicht bekannt, aber es verstand sich von selbst, dass es der meine sein musste.
Duscha fuhr mit den Fingern über die rotierende Masse. »Das Problem sind diese hellen Flecken, Tanner. Ich hatte Ihnen vor dem Aufwachen Bromodeoxyuridin gespritzt. Das ist chemisch analog zu Thymidin, einer der Nukleinsäuren in der DNA. Das Mittel ersetzt das Thymidin in neuen Gehirnzellen und wirkt so als Indikator für die Neurogenese – die Bildung neuer Gehirnzellen. Die hellen Flecken zeigen an, wo sich Konzentrationen des Indikators befinden – indem sie Zentren mit frischem Zellwachstum hervorheben.«
»Ich dachte, das Gehirn bildet keine neuen Zellen.«
»Diesen Mythos haben wir schon vor fünfhundert Jahren zu Grabe getragen, Tanner – aber Sie haben trotzdem nicht ganz Unrecht; bei höheren Säugetieren kommt es tatsächlich ziemlich selten vor. Doch was Sie auf diesem Scan sehen, ist eine stark erhöhte Aktivität: scharf umgrenzte und sehr spezifische Regionen, in denen vor kurzem die Neurogenese eingeleitet wurde – und noch anhält. Funktionsfähige Neuronen haben sich zu komplexen Strukturen organisiert und eine Verbindung zu den bereits vorhandenen Neuronen hergestellt. Bewusst gesteuert. Sie werden bemerkt haben, dass sich die hellen Flecken in der Nähe Ihrer Wahrnehmungszentren befinden. Ein sehr charakteristisches Krankheitsbild, fürchte ich, Tanner – auch ohne die Bestätigung durch Ihre Hand.«
»Meine Hand?«
»Sie haben eine Wunde in der Handfläche. Das ist ein Symptom für eine Infektion mit einem Indoktrinationsvirus aus der Haussmann-Familie.« Sie hielt inne. »Wir haben das Virus auch in Ihrem Blut gefunden, als wir gezielt danach suchten. Es schleust sich in die DNA ein und erzeugt die neuen Neuralstrukturen.«
Leugnen war wohl zwecklos. »Ich bin überrascht, dass Sie es überhaupt erkannt haben.«
»Es ist uns im Lauf der Jahre oft genug begegnet«, sagte Duscha. »Ein kleiner Bruchteil jeder Partie von Matsch… jeder Schläfergruppe von Sky’s Edge ist damit infiziert. Zuerst standen wir natürlich vor einem Rätsel. Wir hatten zwar von den Haussmann-Sekten gehört – ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass wir die Art und Weise,
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