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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Massenhinrichtung gewesen.
    Wir hatten uns hoch oben in den Bergen im Dschungel versteckt und schauten hinab auf eine Lichtung, wo NK-Soldaten von einem Bodeneffekt-Transporter Vorräte abluden. Ich hob mit eisiger Ruhe mein Gewehr, spähte durch das Zielfernrohr und nahm einen Mann des Trupps nach dem anderen ins Visier. Das Gewehr war mit Unterschall-Mikromunition geladen; völlig lautlos und mit einer programmierten Explosionsverzögerung von fünfzehn Sekunden. Zeit genug, um jedem Mann auf der Lichtung eine mückengroße Kugel in den Hals zu jagen – und in Ruhe abzuwarten, bis er träge die Hand hob, um sich den vermeintlichen Insektenstich zu kratzen. Als der achte und letzte Mann bemerkte, dass etwas nicht stimmte, war es für Gegenmaßnahmen bereits zu spät.
    Der ganze Trupp fiel wie auf ein Stichwort zu Boden. Es war unheimlich. Als wir etwas später herunterstiegen und die Vorräte für unsere eigene Einheit requirierten, waren die Leichen durch die Explosionen im Körperinnern grotesk aufgebläht.
    Es war meine erste Begegnung mit dem Tod. Ich erlebte sie wie einen Traum.
    Später fragte ich mich manchmal, was wohl geschehen wäre, wenn die Verzögerung auf weniger als fünfzehn Sekunden eingestellt gewesen wäre, sodass der erste Mann fiel, bevor ich damit fertig war, auch alle anderen zu erschießen. Hätte ich die Gelassenheit des wahren Heckenschützen – den eiskalten Willen – aufgebracht, trotzdem weiter zu machen? Oder hätte mich der Schock über mein Tun so brutal überwältigt, dass ich das Gewehr entsetzt hätte fallen lassen? Doch dann sagte ich mir, es hätte keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Und nach dieser ersten Serie von Exekutionen aus dem Hinterhalt hatte ich damit nie wieder Probleme.
    Oder fast nie.
    Für einen Heckenschützen gehörte es zum Beruf, den Feind fast immer nur als unpersönliches Strichmännchen zu sehen; zu weit entfernt, als dass er durch seine Gesichtszüge oder eine Schmerzensgrimmasse, wenn ihn das Geschoss traf, zum Menschen hätte werden können. Ich brauchte so gut wie nie einen zweiten Schuss. Eine Weile glaubte ich, eine Nische gefunden zu haben, die mir seelischen Schutz bot vor dem Grauen des Krieges. In meiner Einheit schätzte man mich sehr, hütete mich wie einen Talisman. Ohne jemals eine Heldentat zu vollbringen, wurde ich einfach deshalb zum Helden, weil ich technisch sauber schießen konnte. Ich war glücklich, falls man inmitten des Kampfgeschehens überhaupt glücklich sein konnte.
    Aber ich wusste ja, dass es möglich war: ich hatte Männer und Frauen kennen gelernt, für die der Krieg wie ein launischer, ein sadistischer Liebhaber war; ein Liebhaber, der ihnen immer wieder wehtat, und zu dem sie doch – verletzt und hungrig – immer wieder zurückgekrochen kamen. Die größte Lüge aller Zeiten war die Behauptung, der Krieg sei ein Unglück für uns alle, und wenn wir wirklich die Wahl hätten, würden wir uns für immer davon befreien. Vielleicht wäre der Mensch in diesem Fall ein edleres Wesen geworden – aber wenn der Krieg nicht einen ganz eigenen düsteren Reiz hatte, warum waren wir dann immer nur so zögerlich bereit, ihn gegen den Frieden einzutauschen? Das war nicht nur mit einer simplen Tatsache wie der Gewöhnung an die Alltäglichkeit des Krieges zu erklären. Ich hatte Männer und Frauen gekannt, die damit prahlten, nach jedem Abschuss sexuell erregt zu sein; die süchtig waren nach der erotisierenden Wirkung ihrer Tat.
    Das Glück, das ich empfand, war von schlichterer Art: es entsprang der Erkenntnis, dass ich genau die passende Rolle für mich gefunden hatte. Ich konnte moralisch rechtfertigen, was ich tat, und blieb doch davor bewahrt, mich, wie die meisten Frontsoldaten, in akute Lebensgefahr zu begeben. Und so würde es bleiben, dachte ich. Irgendwann würde man mir einen Orden verleihen, und wenn ich nicht bis Kriegsende Heckenschütze bliebe, dann nur, weil die Armee meine Fähigkeiten zu sehr schätzte, um mich den Gefahren der Front auszusetzen. Vermutlich hätte ich mich für eines der geheimen Killerkommandos bewerben können – sicherlich eine riskantere Tätigkeit –, aber nach meiner Einschätzung würde ich am ehesten als Ausbilder in einem Rekrutenlager landen, um schließlich mit der selbstgefälligen Gewissheit, das Ende des Krieges – in welcher Form auch immer – beschleunigt zu haben, in Frühpension zu gehen.
    Natürlich kam alles ganz anders.
    Eines Nachts geriet unsere Einheit in

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