Cheffe versenken (German Edition)
Fürsorge.
»Heute also mal sportlich und stilvoll«, erklärte ich zu meinem Motto für den spät startenden Arbeitstag und rollte knatternd aus der Garage. Nach zehn Minuten erreichte ich den Verlag. Der Parkplatz hinter dem Gebäude war bis auf den letzten Fleck gefüllt.
Wie schafften die Kollegen es bloß, in diesen Katakomben jeden Tag pünktlich und aus freien Stücken ihre Arbeit anzutreten?
Erfolglos kurvte ich um den Block. Mein Handy klingelte. Im Display erkannte ich Ediths Nummer.
»Bin doch schon da!«, brüllte ich ins Wageninnere ohne abzuheben.
Ich fand keine legale Parkmöglichkeit und steuerte den alten Begleiter direkt vor den Eingang.
Nur ein Reifen stand auf dem Gehweg.
»Nicht schlecht, Trixi«, lobte ich mich beim Aussteigen. Selbst eine große Besuchergruppe hätte noch genügend Platz gehabt, um am Auto vorbei in den Verlag zu gelangen. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich am Ellbogen blutete. Dicke rote Tropfen klebten auf dem ledernen Fahrersitz. Hektisch kramte ich ein Taschentuch aus meiner Handtasche, spuckte hinein und versuchte, die Spuren meines Schrankzusammenpralls zu entfernen. Anschließend drückte ich ein zweites Taschentuch auf meine Wunde und verschloss den Wagen. Mit langen Schritten rannte ich ins Büro.
»Ach herrje!«
Edith erschrak bei meinem Anblick und raufte sich den hochroten Schopf. »Was ist denn mit dir passiert?«
Sie starrte auf meine Hose. Auf der Jeans prangten ebenfalls dunkle Tropfen.
»Ein kleiner Unfall – mit dem Fahrrad«, stammelte ich und zeigte leidend meinen notdürftig verbundenen Arm.
»Darum bin ich auch so spät.« Bravo, Trixi, Meisterin der Notlüge.
»Zeig mal. Sieht ja übel aus. Warst du schon beim Arzt?«
»Nein, hab ich nicht geschafft, ich musste mich so lange mit dem Idioten streiten, der mich angefahren hat. Ist auch nicht so schlimm. Hast du vielleicht ein Pflaster?«
»Dafür gibt es doch unseren Betriebssanitäter.«
»Der Verlag leistet sich einen eigenen Betriebssanitäter?«
»Nicht direkt, Powalowski hat eine Zusatzausbildung und ist für solche Dinge zuständig. Hast du denn noch andere Beschwerden?«
»Nur leichte Kopfschmerzen. Die werden aber schon besser.«
Den wahren Grund für die Kopfschmerzen wollte ich Edith gegenüber lieber verschweigen.
»Soll ich dir Powalowskis Büro zeigen?«
»Nicht nötig. Das finde ich schon.«
Powalowskis Reich lag am anderen Ende des Traktes. Als ich klopfen wollte, trat Alan heraus. Seine Augen strahlten sogar in diesem dunklen Flur. Er stellte sich breitbeinig vor die Tür. Ich schluckte und zupfte automatisch an meinem Zopf herum.
»Guten Morgen, Miss Gellert«, sagte er grinsend und schaute an mir herunter.
»Zweiter Arbeitstag und schon verletzt?«
»Nein, nur ein kleiner Zusammenstoß, nix Wildes. Ich brauche nur rasch ein Pflaster von Herrn Powalowski.«
»Darf ich es aufkleben?«, fragte er und beugte sich zu meinem Ellbogen herab.
»Warum nicht?«
Was sagte ich da? Ich dachte an meinen Traum und war froh, dass Alan meine Gedanken nicht lesen konnte. Sicherlich hatte Powalowski mehr Erfahrung in Erster Hilfe. Doch auf eine Vielzahl gut gemeinter Ratschläge gepaart mit Powalowskis Duftnote Spicy Old Man hatte ich keine Lust. Die Verarztung durch Alan erschien mir deutlich attraktiver.
Vielleicht konnte er doch meine Gedanken lesen, denn unaufgefordert bot Alan mir seine Hilfe an.
»Ich mach das schon, mit dem Kollegen habe ich so meine Erfahrung«, sagte er, klopfte an Powalowskis Tür und schaffte es, in weniger als einer halben Minute ein Pflaster zu holen.
»Komm, wir gehen in den Pausenraum.«
Hatte er mich gerade geduzt?
»Deine Wunde sieht ja wild aus. Hattest du eine Schlägerei mit Edith?«, scherzte Alan, während er meine Alibiverletzung musterte.
»Nö, ist beim Radfahren passiert.«
Zu den Kopfschmerzen gesellte sich auch noch ein plötzliches Herzrasen. Eines von der angenehmen Sorte, das ich schon lange nicht mehr gespürt hatte. Ich wollte mir nichts anmerken lassen und suchte krampfhaft nach einem Gesprächsthema.
Alan kam mir zuvor.
»Woran schreibst du eigentlich gerade in der Verlagschronik?«
»Paul Wiltmann«, platzte es aus mir heraus. Sollte ich etwa zugeben, dass ich noch keine einzige brauchbare Textzeile geschrieben und auch sonst keinen Schimmer von diesem Laden hatte?
»Das heißt, ich recherchiere noch«, fügte ich hastig hinzu. »Ist eine Menge Vorarbeit. Alte Akten sichten, Informationen sammeln. Das Schreiben ist
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