Cheffe versenken (German Edition)
des Vertriebsleiters Wilmering samt Sekretariat.
Gleich daneben hing an einer Tür ein provisorisches Schild. »Presse und Public Relations, P. Wiltmann« stand darauf. Auf dem Blatt leuchtete gelb markiert der Hinweis, dass die Presseabteilung im Büro von Frau Yvonne Strowe im 2. OG zu finden sei. Hier hatte also Paul Wiltmann bis zu seinem tragischen Tod gewirkt. Ich schaute mich um, sah niemanden und drückte die Klinke herunter. Verschlossen. Wäre ja auch zu schön gewesen. Ich dachte an Florence, die ihre helle Freude an diesem dunklen Gebäude mit seinen engen Gängen und vergitterten Fensterchen gehabt hätte.
Aus den hinteren Räumen des Flurs war ein leises Rauschen zu vernehmen. Die Türen standen weit offen. Vorsichtig warf ich einen Blick ins Innere. Kein Zweifel. Hier residierten die EDV-Spezialisten. Ein bunter Aufkleber prangte an einer der Türen.
»Zutritt nur für Administratoren. Redakteure und sonstige Könner müssen leider draußen bleiben.«
Spaßvögel, dachte ich und wunderte mich, dass dort niemand saß.
Auf meiner Suche erklomm ich die Stufen in die zweite, die Chefetage. Auch wenn hier oben genauso wenig Tageslicht wie in die unteren Stockwerke vordrang und die Gänge verwinkelt waren, so schien mir dieser Flur deutlich freundlicher und einladender. Die Wände wurden von Kunstdrucken geschmückt, und jedes Bild wurde von einer eigenen kleinen Lampe angestrahlt. Der Teppich hatte einen hellen Sandton. Konnte er zaubern? Der Bodenbelag verschluckte alle Schritte. Ich hatte das Gefühl, auf einem fremden Planeten zu sein. Kein Geräusch und kein Mensch belebten den Flur.
Drei Räume kannte ich schon. Das Chefsekretariat von Frau Heyster, das dazugehörige Chefbüro von Bernold Bellersen und Wuppertal.
Daneben lagen zwei weitere Konferenzräume: Wolfsburg und Wangerooge. Genauso gut hätten die Räume auch Wieso, Weshalb und Warum heißen können. Da hatte jemand eine ganz spezielle W-Vorliebe gehabt.
Gegenüber Frau Heysters Büro nahm die Marketingabteilung einige Räume in Beschlag. Als ich an Yvonne Strowes Tür entlanghuschte, war es schlagartig vorbei mit der Stille. Kein Zweifel, Bernold Bellersen hielt ihr eine lautstarke Standpauke. Ich musste nicht mal mein Ohr an die Tür legen, um sein Geschrei zu verstehen, und so blieb ich einfach stehen.
»Jetzt habe ich aber endgültig die Schnauze voll von Wiltmanns Unfall. Anschlag, zuckersüßer Todesfall. Ist den Pressefuzzis eigentlich klar, was sie da anrichten?«
»Bernold, bitte!«
Miss Piggy versuchte offenbar, ihren Chef zu beruhigen.
»Nichts da, bitte. Jetzt kannst du beweisen, was deine Pressearbeit wert ist. Sieh zu, dass die schlechten Nachrichten aufhören.«
Ich hörte Bellersens schwere Schritte auf die Tür zukommen und sprang zurück. Nichts wie weg. So schnell ich konnte, flitzte ich um die nächste Ecke zum Treppenhaus.
Der schmale Aufgang nach oben war nur spärlich beleuchtet. Ich lief die Stufen hinauf, bis mir eine schwere Metalltür den Durchgang versperrte. Vorsichtshalber horchte ich kurz auf. Von Bernold Bellersen war nichts mehr zu hören. Wahrscheinlich war er in sein Büro zurückgewalzt, und jetzt musste Frau Heyster seinen Wutausbruch ertragen. Schnell atmend drückte ich die verzinkte Klinke hinunter. Die Tür war nicht verschlossen, jedoch so schwer, dass ich mich unter Ganzkörpereinsatz dagegenstemmen musste, um sie bewegen zu können.
Leider hatte ich nicht an meine kleine Verletzung gedacht und den linken Arm gegen die Tür gedrückt.
»Autsch«, jaulte ich kurz auf und zwängte mich durch den Türspalt. Ich betrat den Dachboden und hatte mein Ziel erreicht. Im Halbdunkel erahnte ich ein riesiges Bücherarchiv. In diesem Moment fiel die schwere Tür hinter mir ins Schloss, und alles war dunkel. Ich tastete mich vorsichtig an der Wand entlang. Wie viele Spinnen mochten dieses Refugium bevölkern?
Spinnen haben mehr Angst vor dir als du vor ihnen!, schoss es mir durch den Kopf.
Wer hatte sich eigentlich diesen stumpfsinnigen Satz ausgedacht? Kurz bevor die blanke Panik in mir ausbrach, ertastete ich den rettenden Lichtschalter, und unzählige Neonstrahler flackerten auf.
Das Archiv des Bellersen Verlags erstreckte sich über die gesamte Etage. Zahllose Bücherregale standen wie eine Kolonne Soldaten Spalier. Der belesene Reisestaub von fünfzig Jahren strömte in meine Nase. Ein solches Aroma hatte ich nicht einmal in der Unibibliothek wahrgenommen. Nicht, dass ich häufig dort gewesen
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