Cheffe versenken (German Edition)
der Reihe gebrauchen können … Ich arbeite schon seit Urzeiten hier. Manche Kollegen meinen, ich hätte ein Gedächtnis wie ein Elefant.«
Wenn ich auch nur das Gedächtnis eines chinesischen Porzellanelefanten hätte, wäre das in diesem Moment sehr hilfreich gewesen. Ich hatte nämlich auch den zweiten Namen, den mir der Anrufer genannt hatte, vergessen. Claassen hätte mir jetzt sicher einen Tipp geben können.
Als wir die Akten die Treppe hinunterwuchteten, freute ich mich über seine Hilfe und dachte: Wenigstens ein netter Mensch hier. Und natürlich Alan.
Ich pochte mit den Ordnern an meine eigene Bürotür. Claassen und ich waren so schwer beladen, dass wir keine Hand für die Tür frei hatten. Vielleicht würde Edith sich für eine Sekunde aus ihrem Papier-Maulwurfshaufen buddeln und uns hereinlassen. Doch nichts passierte. Stattdessen hörte ich lautes Gezeter aus dem Büroinneren. Claassen sah mich schweigend an. Dabei konnte er sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen.
»Kein Problem«, seufzte ich, legte meinen Stapel auf den Fußboden und drückte die Klinke hinunter.
Edith saß stocksteif vor ihrem Computer und trommelte mit ihren lackierten Fingernägeln auf den Bildschirm ein. Neben ihr stand ein pummeliger Typ mit Dreadlocks. Sein Hemd lugte zerknittert aus der schlabberigen Hose. Er wirkte perplex wie ein Teddy, den ein launisches Kind gerade auf den Boden geworfen hatte.
»Bitte nicht auf den Bildschirm schlagen, Frau Mu–«
»Da, da und da hab ich draufgedrückt, und dann war auf einmal alles schwarz. Das kann doch wohl nicht wahr sein«, unterbrach ihn Edith. Beleidigt senkte sie ihren Kopf und vergrub ihr Gesicht zwischen den Händen.
»Hören Sie, Frau Muns. Vielleicht haben Sie aus Versehen die falsche Taste betätigt.«
»Ich? Sehr witzig. Holen Sie mir meine Texte zurück, aber ein bisschen flott! Heute Abend habe ich Datenabgabe für das achte Kapitel. Wehe, Sie kriegen das nicht hin!«
Der gutmütige Zottelbär fühlte sich angegriffen und setzte sich zur Wehr. Schließlich legten beide eine filmreife Diskussion darüber hin, über welche EDV-Kenntnisse ein Redakteur grundsätzlich verfügen sollte.
Claassen trug den Aktenstapel zu meinem Tisch.
»Wer ist das?«, fragte ich unauffällig.
»Das ist Johannes Daldrupp, unser EDV-Virtuose. Wir nennen ihn Johnny. Ein Pfundskerl, wirkt ein bisschen behäbig, aber wenn er richtig loslegt, wird er blitzschnell. Erstaunlicher junger Mann – und ein Technik-Genie.«
Bei dem Wort Genie schoss mir plötzlich der tote Pressemann ins Gedächtnis.
»Kannten Sie eigentlich Paul Wiltmann gut?«, flüsterte ich.
Edith und der EDV-Virtuose brüllten sich weiter an.
»Wie kommen Sie denn gerade auf den?«
Claassen schien sich über meinen Gedankensprung zu wundern.
»Nur so.«
»Nicht wirklich. Ich kam bestens mit ihm aus, aber es gab einige Kollegen, die waren nicht gut auf ihn zu sprechen.«
»Was heißt, nicht gut?«
»Ich glaube, sie waren neidisch, weil er so unglaublich viel und schnell arbeitete und dabei vor neuen Ideen nur so strotzte. Er gehörte zu einer anderen Generation als die meisten Leute hier. Neue Zeiten erfordern eben manchmal neue Arbeitswege.«
Mittlerweile hatten die Streithähne sich ein bisschen beruhigt. Johnny hatte Ediths Stuhl erobert und tippte in irrer Geschwindigkeit kryptische Formeln in den PC. Edith quasselte ununterbrochen auf ihn ein und steigerte sich in eine Generalanklage gegen das Computerzeitalter und die von dilettantischen Männern dominierte Welt der Technik.
»Wissen Sie, wie es zu seinem Tod kam?«
Irgendwie hatte ich das Gefühl, Claassen unverblümt fragen zu können.
»Sein Auto wurde von einem Zug erfasst«, sagte Claassen betont leise. »Die meisten glauben, er hatte zu viel getrunken.«
»Und was glauben Sie?«
»Ich bin mir nicht sicher.«
»Haben Sie schon davon gehört, dass sein Auto manipuliert war? Die Polizei hat Zucker in seinem Tank gefunden.«
»Was?« Claassen zog eine Augenbraue hoch und schaute mich mit großen Augen an.
Edith trippelte indes eine winzige Runde im Kreis, so als wolle sie sich damit beruhigen. Johnny sah sie irritiert an. Er schien wenig angetan davon, dass sie ihm ununterbrochen über die Schulter schaute.
»Ich geh jetzt lieber wieder«, sagte Claassen. »Aber ich finde es interessant, dass Sie sich nach Paul erkundigen. Bis auf diesen Reporter vom Westfalenkurier hat niemand seinen Unfall offiziell hinterfragt. Mir kam sein Tod
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