Cheffe versenken (German Edition)
war. Aber dieser eigenartige Geruch von alten Büchern, Schriften, Akten wäre hängen geblieben. Andächtig schlich ich durch die Reihen. Die Regale waren voller Kartons und Ordner.
Die Faszination schrumpfte allerdings mit jedem Meter, den ich zurücklegte. Ein pelziger Geschmack legte sich auf meine Zunge. Musste ich etwa all diese Ordner und Akten durchforsten, um die langweilige Festschrift zu schreiben?
Ich sah mir eine Ordnerreihe genauer an.
»Anstrichexemplare Januar 1964 – Februar 1965«.
Was um Himmels willen waren Anstrichexemplare?
Die Aussicht auf die bevorstehende Arbeit schnürte mir den Hals zu. Unwillkürlich musste ich husten und schaute mich weiter um.
»Autorenverträge Weltenbummler«.
Das waren doch alles alte Kamellen. Ich würde sie mir trotzdem zu gegebener Zeit ansehen. Welches Honorar ein Reisebuchautor in den 60er Jahren wohl erhalten hatte?
»Lizenzen Frankreich«.
Diese Unterlagen waren völlig unbrauchbar für mich. Wo sollte ich anfangen? Am liebsten hätte ich einen Bungeesprung vom Verlagsdach gemacht.
Als ich das nächste Regal unter die Lupe nehmen wollte, hörte ich ein Knarren. Jemand drückte die Metalltür auf und betrat das Archiv.
Sollte ich mich gleich zu erkennen geben? Kaum jemand kannte mich hier im Haus. Vielleicht bekäme die Person einen Herzinfarkt, wenn ich plötzlich aus einem Gang hervorspringen würde. Shining schaltete sich automatisch auf meinen inneren Bildschirm, und im hintersten Winkel meines Gehirns konnte ich den hämmernden Pulsspecht fühlen.
Lautlos trat ich einen Schritt zurück. Bevor mein Fuß den Boden berührte, blieb er in einem Stapel Akten hängen. Ich kam ins Trudeln und taumelte rückwärts gegen ein Bücherregal.
Wie ein kleines Kind schloss ich die Augen und hoffte: Was ich nicht sehe, das sieht mich auch nicht.
»Ist das Datenvernichtung auf die altmodische Art? Ich würde das anders machen.«
Als ich die Augen aufschlug, erkannte ich Henner Claassen.
Er half mir lächelnd auf die Beine und sortierte die Ordner und Akten in das Regal zurück.
»Ich wollte hier nichts kaputtmachen«, brachte ich hervor. Der Specht hämmerte jetzt rücksichtslos an allen Hirnwänden. Wie war ich nur in diesem verfluchten Verlags-Schlamassel gelandet?
»Das glaube ich Ihnen. Suchen Sie Material für die Bellersen-Chronik?«
Für sein Alter hatte Claassen eine gute Auffassungsgabe.
»Tja, wenn ich wüsste, wo ich anfangen soll«, antwortete ich und blickte mich hilfesuchend um.
»Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen alle wichtigen Unterlagen. Kommen Sie.«
Claassen führte mich zu einer Regalreihe, in der das Pressearchiv war.
»Hier finden Sie viele brauchbare Informationen. Positive Pressemeldungen sind für Bernold Bellersen besonders wichtig.«
Schon klar.
»Ich schlage vor, Sie nehmen sich einen Stapel Ordner mit in Ihr Büro und arbeiten die Ereignisse kontinuierlich ab.«
Claassen war wirklich hilfsbereit, und ich erklärte ihn augenblicklich zu meinem neuen persönlichen Schatzmeister. Ein Mann der alten Schule.
»In welchem Bereich arbeiten Sie eigentlich genau?«, fragte ich. Claassen war mindestens fünfzehn Jahre älter als Edith, gehörte aber scheinbar nicht zur Führungsriege.
»Ich bin Redakteur für Sonderprojekte.«
»Sonderprojekte?«
Wortwiederholungen waren immer gut, wenn einem nichts einfiel.
»Das sind Einzelpublikationen, die außerhalb des eigentlichen Verlagszyklus erscheinen. Echte Liebhaberstückchen sozusagen.«
»Aha.«
Keine Ahnung, was das heißen sollte, aber es klang anspruchsvoll.
»Arbeiten Sie für Edith oder in der Abteilung von Herrn van Gendt?«
»Weder noch, meine Projekte sind die Privatschmankerl von Bernold Bellersen. Die Themen lassen sich nicht für den Massenmarkt produzieren, aber weil Bellersen sie spannend findet, finanziert er sie über ein eigenes Sonderbudget.«
So genau wollte ich es nun auch wieder nicht wissen.
»O. k. Danke für den tollen Tipp. Dann werde ich mal loslegen.«
Ich schob meinen Kopf nah an die Ordner und fixierte mit zusammengekniffenen Augen die Unterlagen.
»Kommen Sie, ich helfe Ihnen.«
Kavalier Claassen zog einen großen Aktenstapel aus dem Regal und drückte ihn mir in die Arme. Danach nahm er einen weiteren Stapel und wippte kurz mit dem Kopf zur Seite.
»Ab die Post«, ermunterte er mich. Hatte er Mitleid, da ich vor einer schier unlösbaren Aufgabe stand, oder fand er das Projekt selbst so spannend?
»Und wenn Sie mal Informationen außer
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