Cheffe versenken (German Edition)
kein Geruchstelefon, denn am anderen Ende sprach Powalowski.
»Wie gut. Sie leben noch.«
»Wie bitte?«, fragte ich zurück.
»Entschuldigung, dass ich Sie störe. Ich weiß, Sie haben heute Ihren Job verloren, aber ich habe eine sehr dringende Frage.«
»Wenn’s sein muss.«
Powalowski war völlig außer Atem. Er schnaufte ins Telefon, als hätte er gerade die Zugspitze erklommen.
»Wir befürchten das Schlimmste.«
Schnauf.
»Denn wir haben einen Brief gefunden. Besser gesagt, er wurde am frühen Abend Frau Heyster zugestellt.«
»Ja und?«, funkte ich dazwischen. Alter Umstandsfritze. Frau Heyster bekam doch jeden Tag Post.
»Wir wissen nicht, wer ihn verfasst hat, aber wir sind sehr besorgt.«
Schnauf, schnauf.
»Es ist eigentlich nur eine kurze Nachricht. Mit dem Computer geschrieben. Darin steht … warten Sie, ich lese vor: Ihr wollt mich loswerden! Macht Euch nicht die Mühe, mich zu suchen. Ich gehe dorthin, wo alles begann. Denn nur dort finde ich endgültig Ruhe. «
Schnauf. Kurze Pause.
Mein Herz begann zu rasen.
»Haben Sie eine Ahnung, ob Edith diesen Brief verfasst haben könnte? Wir wissen, dass sie gestern ziemlich aufgelöst ihr Büro verlassen hat und heute nicht zur Arbeit erschienen ist. Oder könnte Herr Tivendale diesen Brief geschrieben haben? Ja, und Ihnen wurde schließlich auch gekündigt. Herr Bellersen, Frau Strowe und ich – wir sind gleichermaßen besorgt und ratlos.«
Bellersen und Strowe konnten bleiben, wo der Verlagspfeffer wächst. Dieser Abschiedsbrief klang verdammt nach Edith. Alan war doch viel zu cool für eine solche Aktion. Oder nicht?
Ich zitterte wie am Vormittag, als ich unter Bellersens Tisch gehockt hatte.
»Hören Sie, Herr Powalowski. Ich weiß leider nicht, wo Edith steckt. Aber wenn ich eine Idee habe, melde ich mich bei Ihnen. Und wo Alan ist, danach können Sie ja Herrn Bellersen noch mal fragen.«
Ich legte auf und schaute Rahel und Florence an, die alles mitgehört hatten.
»Dort’in, wo alles begann«, zitierte Florence. »Das klingt très pathétique. Isch schließe Alan aus. Er ist so eine lässige Mann und findet überall einen neuen Job. Non, isch bin mir sischer, das ist die ’andschrift einer Frau.«
»Vielleicht ist das ein Hinweis auf Ediths Geburtsort«, rätselte Rahel.
Ich hatte keine Ahnung, wo sie geboren worden war. Überhaupt stellte ich fest, dass ich über Edith nicht wirklich viel wusste. Sie war nicht verheiratet und hatte keine Kinder. Das war nichts Außergewöhnliches. Wenn sie verreiste, dann stets in ferne Länder. China, Indien, Mexiko waren ihre letzten Ziele, von denen sie mir erzählt hatte.
»Hat Edith keine Eltern und Geschwister? Oder wenigstens einen Lover?«, hakte Rahel noch mal nach.
»Einen LOVER? Allein das Wort würde Edith Pusteln ins Gesicht treiben. Soviel ich weiß, gibt es niemanden. Bei der Arbeit hat sie manchmal vom alten Bellersen geschwärmt. Aber das war die pure Nostalgie. Ich glaube, Edith hat große Sehnsucht nach der guten alten Zeit. Der Verlag ist ihr Leben. Sie steckt alle Zeit und Energie in die Arbeit.«
Es war schon erstaunlich, wie oft Edith von früher sprach. Benno hier, feste moralische Werte da. Verwandte und Freunde erwähnte sie nie. Irgendwie lebte sie in ihrer eigenen Welt.
»Gibt es denn Orte, die für den Verlag wichtig waren?«, fragte Florence. »Wurde das Unternehmen in Gütersloh gegründet?«
»Ja. So viel habe ich immerhin bei meinen Recherchen herausgefunden. Die einzigen Orte, die mir einfallen, sind die Namen der Besprechungsräume. Wuppertal, Wolfsburg und Wangerooge.«
»W wie witzig. Alle Orte beginnen mit einem W«, kicherte Rahel und begann gleich zu singen. »Wer, wie, was? Wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm.«
Die drei Orte sagten mir nicht viel. Ich wusste lediglich, dass Benno auf Wangerooge gestorben war. Mehr nicht.
»Lass mich das machen«, bot Rahel an und surfte im Internet.
Florence und Gerd kümmerten sich derweil ums Abendessen. Jedes Mal, wenn ich an Alan dachte, wurde mir flau, denn ich machte mir langsam große Sorgen um ihn.
Am späten Abend waren wir nicht viel schlauer. Rahel hatte herausgefunden, dass die Familie von Benno Bellersens früh verstorbener Frau Inge aus Wuppertal stammte. Warum sollte Edith also nach Wuppertal reisen? Es blieben noch Wolfsburg und Wangerooge.
Walhalla
Die ganze Nacht über rief ich alle zwei Stunden abwechselnd auf Alans Handy und auf seiner Privatnummer an. Ohne Ergebnis.
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