Cheffe versenken (German Edition)
unsicher zurück. Was wusste Bellersen? Hatte Frau Heyster dichtgehalten? Ich riss mich zusammen.
»Warum musste Herr Tivendale gehen, wenn ich fragen darf? Gestern war er noch im Büro. Da hat er nichts erwähnt. Er wollte mir heute die ersten Layoutentwürfe der Chronik zeigen.«
»Fragen dürfen Sie«, schmetterte Bellersen. »Aber eine Antwort bekommen Sie ni– Ach was soll’s. Eigentlich darf ich Ihnen das nicht sagen, aber ich kann mir vorstellen, dass diese Kündigung eine abschreckende Wirkung hat, gerade auf unsere jüngeren Kollegen. Und Abschreckung kann nie schaden.«
Ich schaute ihn ungläubig an. Yvonne Strowe schien mit den Tränen zu kämpfen. Hoffentlich zerfraß das Salzwasser nicht ihre aufgeplusterten Lippen.
»Wir haben gestern Drogen in seinem Schreibtisch gefunden. Wahrscheinlich Kokain.«
»Nie im Leben!«, platzte es aus mir heraus. »Alan ist Sportler. Der nimmt keine Drogen.«
»Ich wüsste nicht, wie Sie das beurteilen könnten.« Bellersen schlug mit der Faust auf den großen Holztisch. Yvonne und ich schraken zusammen. Im selben Moment nahm er sich wieder zurück.
»Es gibt zwei Dinge, die ich in diesem Unternehmen nicht dulde: Liebesbeziehungen unter Kollegen und Drogen. Wie Sie sehen, existiert ab sofort kein Herr Tivendale mehr im Hause Bellersen. Die Grafikabteilung übernimmt Frau Schuster.«
Yvonne Strowe wandte verstohlen ihren Kopf ab. Von der Seite wirkte ihre Oberlippe noch wuchtiger. Man hätte sie als Stiftablage nutzen können.
»Und ich denke, Herr Tivendale – oder Alan, wie er von unserer weiblichen Belegschaft liebevoll genannt wurde – kann froh sein über die Lösung, die ich ihm angeboten habe. Wie Sie wissen, bin ich für mein sozialverantwortliches Verhalten gegenüber meinen Mitarbeitern bekannt und kein Unmensch. Herr Tivendale nutzt die nächste Zeit, um sich über seinen Fehltritt klarzuwerden.«
»Welche nächste Zeit?«, fragte ich bockig.
»Ich habe ihm ein Ultimatum gestellt. Wenn er heute noch Gütersloh verlässt, werde ich von einer Anzeige absehen. Er ist ein junger, talentierter Grafiker und fähig, aus seinen Fehlern zu lernen. Sollte er das verstanden haben, ist die Verbannung Strafe genug. Herr Tivendale weiß meine Großzügigkeit zu schätzen und wird diesem Vorschlag nachkommen.«
Wie auf Knopfdruck zerfiel Alans Bild vor mir in tausend Scherben. Das konnte nicht sein. Alan nahm keine Drogen. Basta. Ich kannte ihn wirklich nicht gut, aber das traute ich ihm nicht zu. Auch die Kündigung wollte ich nicht wahrhaben. Das Schlimmste daran war Bellersens Ausweisung aus der Stadt. Der Pate hatte zugeschlagen. Florence hatte recht gehabt.
Mit einem untypischen Poltern stürmte Frau Heyster in Bellersens Büro. Sie warf meinen Ordner auf den großen Tisch und blieb davor stehen. Ich überlegte, was jetzt wieder passiert war. Schlimmer konnte es eigentlich nicht kommen. Diese Annahme sollte sich als Fehleinschätzung erweisen, denn als Frau Heyster den Ordner aufschlug, fiel mein Blick auf die erste Seite – Rahels Aufzeichnungen.
Frau Heyster riss das Blatt aus dem Ordner und hielt es Bellersen vor die Nase. Blinzelnd las er die Zeilen, die Rahel säuberlich zusammengetragen hatte.
Ich ahnte, dass ich mit einem erklärenden »Das habe ich nicht geschrieben« in diesem Moment nicht punkten konnte. Also blieb ich sitzen und wartete ab.
Bellersen schüttelte den Kopf. Dieser verwandelte sich langsam in einen knallroten Ballon. Ich hatte Angst, er könne platzen. Dann reichte Bellersen die Seite an Yvonne Strowe weiter. Vorsichtshalber atmete ich tief ein. Die Stille erdrückte mich fast, und ich begann zu schwitzen und zu zittern.
Miss Piggy überflog die Seite, nahm den Ordner und blätterte auch die nächsten Seiten durch.
Mich beschlich ein Anflug von Hoffnung. Bellersen und Strowe mussten froh sein über die kriminalistischen Recherchen. Schließlich hatte sich bisher niemand die Mühe gemacht, alle Einzelheiten zu den verstorbenen Mitarbeitern so erstklassig zusammenzutragen. Es war Zeit für meinen Triumph.
»Herr Bellersen, das ist mein Beitrag zur Aufklärung aller Todesfälle im Verlag«, brachte ich stolz hervor. Je länger ich darüber nachdachte, desto logischer fand ich meine Argumentation. Warum sagten die beiden nichts?
Dann kam mir die Königsidee.
»Diese Zusammenfassung habe ich selbstverständlich außerhalb meiner Arbeitszeit angefertigt. Ich glaube, man nennt das »Einsatz über das übliche Maß
Weitere Kostenlose Bücher