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Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Carey
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herum sah ich Anzeichen der guten, besonnenen Deutschen, die sich um ihre kleinen Gärten kümmerten, Mist anfuhren, Humus oder was für widerwärtiges Zeugs auch immer benötigt wurde. Sie waren fleißig. Sie waren bescheiden. Sie waren strebsam. Sie gruben die Erde um, hackten und jäteten, zwangen die Fruchtbarkeit herbei. Warum nur musste ich mich mit einem Irren abgeben? Ich kannte die Antwort. Wie hatte ich Narr sie bloß vergessen können?
    »Als ich jung war«, sagte er und legte mir eine Hand auf die Schulter, womit er sich umgänglich gab, mich aber zugleich zwang, neben ihm herzugehen, »machten die Packer noch die Runde und sammelten die Uhren selbst ein. Das Pack aber ist fett geworden. Heutzutage nötigen sie die Uhrmacher, zu ihnen zu kommen. Sie lassen sie warten. Und die meisten von ihnen sind natürlich Gastwirte«, setzte er noch hinzu. »Je länger gewartet wird, desto mehr Bier wird getrunken, welches sie dann vom Preis wieder abziehen. Also sind die jungen Männer gezwungen, nach England auszuwandern, und lassen Mutter und Weib allein zurück.«
    Dort, am Fuße des Hügels und am Ufer des schmalen Bachs, tat er mir ehrlich leid, dieser blau geschlagene Rohling. »Wie Sie selbst auch«, sagte ich.
    Als amüsierte ihn meine Bemerkung, dachte er einen Moment darüber nach und richtete seine Aufmerksamkeit dann auf die weite Aussicht, die sich uns bot. »Das hier ist mein Weib«, sagte er.
    Unter den vielen, vielen überspannten und ziemlich absonderlichen Dingen, auf die Herr Sumper noch beharren sollte – so unter anderem darauf, dass er die Fähigkeit besitze, Unwetter heraufzubeschwören –, nahm diese Bemerkung ihren ganz eigenen, merkwürdigen Platz ein, schien sein ›Weib‹ doch nichts weniger als der sogenannte ›Misthaufen‹ zu sein: Furtwangen selbst mit seinen stetig enger und wirrer verlaufenden Gassen, den gewundenen Straßen, seltsamen alten Gebäuden, Schnitzereien und diesem Überreichtum an altmodischen Schmiedearbeiten. Der einzige Makel im Bild war ein ungemein hässlicher, moderner Bau, der hoch und eben aufragte und so steinern wie langweilig aussah.
    »Was ist das für ein Gebäude?«, fragte ich.
    Woraufhin er mich ansprang, war ich doch einen Moment nicht auf der Hut gewesen.
    Mein Schlag traf seinen Hals.
    Die Augen quollen vor.
    Ich spuckte ihn an.
    Er nahm mich in den Schwitzkasten, zerdrückte mir die Lungen, nötigte mir ein höchst unmännliches Quieken ab und hob mich hoch, wirbelte mich im Uhrzeigersinn herum, gegen den Uhrzeigersinn, drehte mich kopfüber und stellte mich dann wieder mit den Füßen auf die Erde.
    »Aber«, rief er, während er mich auf beide Wangen küsste, »da werden doch Eure Schraubenfedern hergestellt.«
    Und so begriff ich, dass dieser Wahnsinnige – trotz allem, was ich gesagt und getan hatte – den Automaten noch herstellen wollte. Und aus schierer Erleichterung darüber, dass mein krankes Kind wahrhaft leben sollte, schlug ich ihm ins Gesicht.
    Verfahrensanhörung

    Zimmer 404 , Annex
    3 . Mai 2010

    Anwesend:
E. Croft (Kurator Horologie), C. Gehrig (Konservatorin Horologie), H. Williamson (Konservatorin Keramik), S. Hall (Abteilungsleiterin)

    Zweck des Treffens:
Klärung der Vorgehensweise bezüglich Identifizierung, Restaurierung und Wiederaufbaus des vorläufig unter H 234 registrierten Automaten.

    Es wurde beschlossen, dass C. Gehrig ein Inventar des Automaten anlegt und ihre Ergebnisse in der letzten Juniwoche dem Kurator sowie der Konservatorin Keramik vorlegt. Da der Zustand der Hinterlassenschaft unbekannt ist und es sich gleichsam um eine ›Katze im Sack‹ handelt, wurde vereinbart, dass sich C. Gehrig und E. Croft (womöglich gemeinsam mit den Abteilungen Entwicklung und Öffentlichkeit) noch vor dem Augusturlaub zu einer Bestandsaufnahme treffen. C. Gehrig fragte, ob das Objekt vornehmlich als ›Publikumsmagnet‹ einzuschätzen sei. E. Croft erwiderte, ›Publikumsmagnete‹ gehörten nicht zum Museumsauftrag. Er setzte hinzu, dass das Budget für diese Restaurierung zwar begrenzt sei, er künftige finanzielle Entwicklungen aber durchaus nicht pessimistisch einschätze.

    E. Croft legte dem Komitee dann eine auf einen gewissen ›Monsieur Sumper‹ ausgestellte Quittung über den Empfang einer größeren Menge Silber vor.
    Aufgefundene Glasstangen und kleine silberne Fische geben erste Anhaltspunkte für den Automaten in Aktion. Allerdings wird eine umfassende Bewertung nötig sein, um den Wert des Schwans (sofern

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