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Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Carey
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dachte, deshalb hätte man mich hergeschickt.«
    So also werde ich sie los. Sie kann mir Hilary aus der Keramikabteilung holen. Aufmerksam hört sie sich die komplizierten Direktiven an – Panik ist die normale Reaktion auf eine Wegbeschreibung zum Swinburne, sie aber ist ganz Ohr, konzentriert, der Kopf leicht angewinkelt. Ich rechne damit, dass sie mich bittet, das Gesagte zu wiederholen, aber sie zieht einfach los. Keine Sekunde später versuche ich, mich in Matthews Account einzuloggen.
    Username: MTINDALL
    Password: CATHERINE , und wie eine Blume öffnet sich mein Geliebter. Hier ist es, alles, was ich will, ich an ihn, er an mich, jahrelang. Herrgott im Himmel, ich liebe dich, Matthew. Wie traurig, dass ich alles löschen soll.
    Womit ich erst angefangen habe, als die beiden Frauen zurückkommen und ich aufhören muss. Man wird es mir ansehen, wie aufgewühlt ich bin und welch schlechtes Gewissen ich habe, aber die vom Courtauld spielt die Hauptrolle in ihrem eigenen Film. Ihr schießt Farbe ins Gesicht, und ich weiß, dass sie – verständlicherweise – mit ihrem Erfolg zufrieden ist.
    Die Glasstangen müssen jetzt vorsichtig auf einen langen Stahlkarren geladen werden, ein Vorgang, für den sie kaum mehr als fünf Minuten brauchen, doch muss ich warten und über alles Erträgliche hinaus warten, ehe ich endlich wieder allein bin.
    »Sehen uns vor dem Haus.«
Delete.
    »Bis bald.«
Delete.
    »Ich küsse deine Zehen.«
Delete.
    »Ich liebe dich. Tut mir leid, dass ich so grässlich war.«
Delete.
    Es sind Abertausende. Jede einzelne Mail sollte ich speichern, aber ich traue mich nicht. Mir geht jedes Zeitgefühl verloren. Ich höre nicht mal, wie die Kleine zurückkommt, bis ich mit einem Schock merke, dass sie neben mir steht.
    »Sie bekommen ja schreckliche viele E-Mails.«
    Mir ist bewusst, dass meine Augen seltsam aussehen müssen. »Ich rede nicht gern«, erkläre ich, als ich mich wieder auslogge. »Ich hoffe, das ist Ihnen nicht unangenehm.«
    »Nein«, antwortet sie, doch mache ich sie offensichtlich nervös.
    »Also schön«, sage ich, »dann können Sie ebenso gut auch die Kisten auspacken.«
    »Ich allein?«
    »Glauben Sie, Sie schaffen das?«, frage ich in eher beiläufigem Ton.
    »Aber ja, wenn es denn in Ordnung geht.«
    »Einige Stücke dürften ziemlich schwer sein. Falls Ihnen irgendwelche Zweifel kommen, wenden Sie sich an mich.«
    »Darf ich erfahren, was das ist?«
    »Offenbar ein Schwan.«
    Verwirrt bleibt sie stehen und starrt mich an, ehe sie dann fragt: »Soll ich schon mit der Bestandsaufnahme anfangen?« Ich kann ihre rosige Zunge hinter den Zähnen sehen. Die Vokale in
Bestandsaufnahme
klingen ein wenig seltsam.
    »Nein, packen Sie die Sachen nur vorsichtig aus. Und bewahren Sie das Einwickelpapier auf, sämtliche Zeitungen. Achten Sie außerdem auf jegliche Dokumentation, selbst eine Briefmarke kann wichtig sein.«
    »Wie ordne ich die Sachen an? Ich meine, nach welchem Prinzip soll ich sie ordnen?«
    Ich kann nicht reden und will sie nicht ansehen. »Mir egal. Machen Sie es, wie Sie es für richtig halten.«
    Mein kolossaler Mangel an Interesse ist eigentlich unfassbar. Im wahren Leben würde so etwas nie passieren, aber selbst während meiner höchstpersönlichen Achterbahnfahrt gelingt es mir, die Courtauld-Absolventin ein wenig im Auge zu behalten. Mir fällt auf, dass sie die Teile nach Größe anordnet, vom kleinsten aufwärts. Du kecke Göre, denke ich, du freches kleines Ding.
    »Wie war dein Tag?«
Delete.
    »Ich hasse die ganze Welt, nur dich nicht, meine Liebe.«
Delete.
    »Ich bin ein Genie. Komm und sieh, was ich getan habe.«
Delete.
    Die Assistentin packt aus und schreibt auf. Ich schneide mir das Herz heraus.
Delete, delete, delete.
Sicher gibt es eine schnellere, weniger schmerzliche Vorgehensweise, doch würde ich sie wahrscheinlich auch dann nicht anwenden, wenn sie mir bekannt wäre. Ich bewege mich auf einem Feld elektrischer Turbulenzen, knochenzermalmender Aufwinde, die E-Mails seiner Frau.
Delete.
Ich habe ihn nie gefragt, ob er Sex mit ihr hatte. Ich habe ihm vollauf vertraut, trotzdem habe ich immer an seiner Haut geschnüffelt.
Delete.
Es gibt Mails an Frauen, die ich nicht kenne. Die muss ich einfach öffnen und schäme mich jedes Mal.
Delete.
Ich wühle mich tiefer vor, die Courtauld-Absolventin wühlt in den Teekisten.
    »Und? Wie kommen Sie zurecht?«, frage ich und merke erst jetzt, dass sie Musik über Kopfhörer hört, die so klein sind, dass ich

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