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Cheng

Cheng

Titel: Cheng Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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dieser Zorn sich gegen etwas Alltägliches richtet, so ist dies eben bloß Ausdruck einer bestimmten Epoche. So ist der Österreicher nur bedingt als xenophob zu bezeichnen, er ist ein bedingungsloser Misanthrop, für den der Rassismus bloß eine spezielle – sozusagen staatlich verordnete – Form seiner Menschenverachtung darstellt. Und seine Menschenverachtung ist ja wiederum bloß ein Teilaspekt seines Zornes gegen die Schöpfung. Tatsächlich verachtet er den Grashalm, den Feldhasen und den Türken in demselben Maße, wie er sich selbst verachtet. Und kommt solcherart Gott näher als irgendein anderes Lebewesen.)
    »Na endlich«, stöhnte der Mann, »wie stellst du dir das eigentlich vor, Chinamann. Zwei Uhr ist es jetzt.« Er deutete mit der geröteten Nase auf seine Armbanduhr. »Um zehn hab’ ich das Menü für den Professor bestellt. Um zehn! Ich weiß ja nicht, was für ein Zeitgefühl die Chinesen haben, aber drei Stunden für so ein gezuckertes Schweinefleisch ist eine Frechheit. Und jetzt stehst du da mit deinem Freund, seelenruhig, und tust auch noch tschicken. Sag, habt ihr zwei Perlen in den Augen. Oder könnt ihr das Schild nicht lesen. Und wo, wenn ich einmal fragen darf, ist jetzt das Essen, du Mann aus dem Reich der Mitte und der Zwerge?«
    »So geht das unentwegt«, sagte Cheng.
    Straka zog seinen Dienstausweis, den er dem Hausmeister vor seine Karl-Malden-Nase hielt, und erklärte ihm, daß nicht jeder Chinese ein Chinese sei, nicht jeder Chinese automatisch Chinalokalbesitzer, daß bei diesem Wetter mit Sicherheit kein Essen nirgendwo hingeliefert werde und daß er sich jetzt entfernen dürfe. Auch wenn dem Hausmeister der Zorn wie ein Parasit im Leib hockte und ihn von innen her zu sprengen drohte und auch wenn an seiner Hausmeistermacht sich schon so mancher Chefarzt geschnitten hatte, gegen einen von der Mordkommission konnte er nicht ankommen. Gab man nicht acht, schleppten die einen mit, um endlich ihre ungelösten Fälle an den Mann zu bringen. Mit glühenden Wangen und zitternden Ohrläppchen zog er sich zurück. Aber seine Rache am subalternen Institutsvolk würde schrecklich sein.
    Straka und Cheng machten sich auf den Rückweg. In der Zwischenzeit hatte wieder der Sturm eingesetzt, und die Schneeflocken schlugen ihnen wie Scherben ins Gesicht. Auf der Landesgerichtsstraße, einem üblicherweise stark befahrenen Verkehrsweg, stand ein einziges Fahrzeug der Schneeräumung – ein großes versteinertes Tier. Das orangefarbene Licht der Warnblinkanlage rotierte wie ein letztes Aufbegehren in der Dämmerung. Von den wackeren Männern in ihren Schutzanzügen war nichts mehr zu sehen. Einige von denen saßen im überfüllten Café Eiles, in das nun auch Straka und Cheng eintraten. Wiener Weltuntergangsstimmung: normalerweise ein eher ruhiges Kaffeehaus, in dem Josefstädter Bildungsbürger gelangweilt im Feuilleton herumblätterten, angehende Akademiker sich in der nasalierenden Überhöhung von Idiotien übten und leitende Rathausbeamte die Vormittage schwänzten, herrschte nun jene ausgelassene Heurigenstimmung, die beim Heurigen kaum noch bestand (wenn sie überhaupt je bestanden hatte). Die Vermischung der Klassen war in vollem Gange. Man kam sich sehr nahe, nicht nur weil es so voll war. Die Boutiquebesitzerin in ihrem Schlauch aus Jersey saß auf den Schenkeln des Mannes von der Schneeräumung. Im Grunde hatte sie seit jeher ein Faible für diese ungeschlachten, verschwitzten, nach Tabak und Schnaps riechenden Kerle gehabt, die stets einen stark behaarten Eindruck machten (auch wenn sie gar nicht stark behaart waren), die einen daran erinnerten, daß das wirkliche Leben aus Dreck und Arbeit bestand und nicht aus Cashmere und Bargeflüster. Sie hatte die abgeschleckten, parfümierten Gestalten in ihren Hugo-Boss-Anzügen und mit dieser Gummipuppenhaut satt, genauso die harten Lederjackentypen, an denen das Härteste ihr Haarfestiger war. Es machte ihr mächtig Spaß, auf diesen Schneeräumeroberschenkeln zu hocken, die sich soviel besser anfühlten als die Schenkel von durchtrainierten Hautcremefanatikern oder die von Schriftstellern und anderen Anhängern des Rollkragenpullovers.
    Straka und Cheng stellten sich in eine Ecke und rauchten. Es würde ohnehin bald fünf Uhr sein.
    »Warum sind Sie eigentlich Privatdetektiv geworden?« fragte Straka, der immer wieder gefragt wurde, warum er Polizist geworden war, und der froh darum war, auch einmal so eine dämliche Frage stellen zu

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