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Cheng

Cheng

Titel: Cheng Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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politischen Gegners, der behaupte, diese Naturkatastrophe sei ein Resultat sozialdemokratischer Stadtpolitik, und bemühte sich – nicht allzu deutlich und dennoch eindringlich –, die Einsatzmannschaft via Television davon zu überzeugen, wieder an ihre Einsatzplätze zurückzukehren. Daß die zumeist aus Gastarbeitern rekrutierten Schneeräumeinheiten keine Lust hatten, im Namen des Herrn und des Wiener Bürgermeisters zu erfrieren, war natürlich traurig, aber bei der bekannten Arbeitsmoral fremdländischer Charaktere kein Wunder; daß aber selbst die heimischen Helden von der Feuerwehr daheim bei ihren Lieben saßen oder sich in der freiwilligen Gefangenschaft eines Wirts befanden, das war doch ein eindeutiger Hinweis auf den Verfall einer von Verweiblichung, Autoritätsverlust und Körperuntüchtigkeit durchzogenen Gesellschaft. Allein auf das Bundesheer war noch Verlaß, wenngleich die Jungmänner nicht ohne Widerwillen von desorientierten Berufssoldaten durch den eisigen Sturm gehetzt wurden, völlig sinnlos im Schnee herumgruben und eine Ahnung davon bekamen, wie lustig das damals bei Stalingrad gewesen sein mußte.
    Straka nahm sein Handy, wählte mehrere Nummern, bekam aber keine Verbindung.
    »Sinnlos. Alles zusammengebrochen. Wir müssen warten, bleibt uns gar nichts anderes übrig.«
    Die zwei Flaschen und der Schnaps wurden serviert. Der Kellner war trotz der Hektik überaus freundlich, wirkte geradezu ausgeglichen. Denn obgleich eine riesige Sauferei im Gange war, war niemand ungeduldig, niemand urgierte, niemand stänkerte. Der alte griesgrämige Oberkellner, der üblicherweise bereits angesichts von mehr als drei Stammgästen die Nerven wegwarf und ihm unbekannte Gäste prinzipiell ignorierte, tänzelte leichtfüßig durch die Menge, schneidig, elegant, ein Küßdiehandcharmeur der besten Art.
    Zugegeben, die ganze Szenerie wirkte ziemlich anormal. Wie das Vorspiel zu einem brutalen und absurden Gemetzel. Soviel Freundlichkeit, während draußen die Stadt unterging. Oder war es ganz selbstverständlich bei einem Weltuntergang, daß die Leute, endlich von sich selbst befreit, erkannten, daß es neben ihrem Haß und einem umfassenden Vernichtungswillen noch andere Möglichkeiten der Lustbefriedigung gab?
    »Hallo, Markus, daß ich dich wieder einmal treffe.«
    Eine zierliche Frau schlang ihre Arme um Cheng. Der elegante Kostümtyp, der normalerweise alles unterläßt, was die Makellosigkeit eines Kostüms gefährden könnte, also auch eine Umarmung, dann schon eher das langhalsige, bloß angedeutete (weil lippenstiftschonende) Wangenküssen. Aber auf ihrem camelbeigen Kostüm leuchteten Rotweinflecken, und ein beträchtlicher Teil ihres Lippenstifts klebte auf den Gesichtern jüngster Bekanntschaften.
    »Monika, darf ich dir Herrn Kriminal-Oberstleutnant Straka vorstellen.« Und zu Straka gewendet: »Ich habe zusammen mit Frau Riedler bei Trimmel gearbeitet, der Detektei.«
    Monika verdrehte ihre Augen, die es Straka sogleich angetan hatten.
    »Mein Gott, Kinder, seid doch nicht so formell«, sagte sie, »Herr Oberstleutnant, wie das klingt. Nichts gegen Ihre Verdienste, aber Sie haben doch sicher auch einen Vornamen.«
    »Äh … Richard.«
    An und für sich kein Name, der zum Lachen anregt, aber wie er es gesagt hatte, mit einer Schüchternheit leise, zögernd, dazu ein Gesicht, als stehe er in Unterhosen vor der Dame, verursachte bei Frau Riedler eine Lachreizung, ein anfängliches Glucksen, das schnell in eine ungenierte Salve mündete. Auch Cheng mußte grinsen. Straka war beleidigt, was man ihm auch ansah. Daraufhin hängte sich die Riedler bei ihm ein und erklärte, daß sie es schrecklich süß finde, wenn so große, starke Männer Probleme hätten mit der Preisgabe ihrer Intimitäten, wie etwa einem Vornamen. Dann sah sie ihn mit verträumten Augen an (schließlich war sie kein Tschapperl und hatte sofort gemerkt, was der große, starke Mann an ihr besonders attraktiv fand) und bestand darauf, daß er und Cheng sich an den Tisch ihrer Freunde setzten.
    Natürlich gab es keinen einzigen freien Platz mehr an dem Tisch. Monika bot dem großen, starken Mann ihren kleinen Sessel an und plazierte sich – wie es offensichtlich lobenswerte Unsitte an diesem Abend war – auf seinen Kriminalistenoberschenkeln.
    »Wo setzen wir bloß den Markus hin?« fragte Monika, obgleich sie die Antwort bereits kannte.
    Cheng erklärte, daß es ihn keineswegs störe zu stehen, er sei ja nicht der einzige. Aber

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