Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cheng

Cheng

Titel: Cheng Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
Schneewasser wie ein fröhlich sprudelnder Quellbach eindrang. Er fluchte innerlich.
    Was tat er auch hier draußen, mit diesem Oberstleutnant, der aussah, als wolle er den Nordpol erreichen (auch das Schuhwerk von King of Survivors und die Rolex Oyster Perpetual Explorer II bewiesen, wie gut Straka sich auf diesen Wintereinbruch vorbereitet hatte).
    Als sie endlich das Gerichtsmedizinische Institut erreichten, fühlte sich Cheng so durchfroren und zerschlagen wie jene, die ihre Arbeitsferien in den Warteschlangen vor Skiliften verbringen.
    »Die können mich gleich hierbehalten. Kommt aufs gleiche heraus. Den Rückweg würde ich nicht überleben.«
    Straka lachte und meinte, es werde sicher bald aufhören zu schneien. (Er glaubte ja auch, daß es mit seinem Magen nicht so schlimm stand.)
    Doktor Hantschk empfing sie. Er hielt ganz ungeniert ein Glas Wein in der Hand, genauer gesagt einen Grünen Veltliner, der nicht zum Schlechtesten gehörte, was die braven Menschen des Weinviertels zustande brachten. Wie alle Gerichtsmediziner war er ein schwerer Alkoholiker, aber schließlich sind alle Ärzte schwere Alkoholiker, wie eigentlich alle übrigen Österreicher. Auch die Nichttrinker. Denn der Alkoholismus ist eine infektiöse Angelegenheit. Selbst wenn die Leute Wasser saufen, macht es sie betrunken. Es heißt, würden alle Chinesen gleichzeitig von einem Stuhl springen, könnten sie die Erde aus ihrer Umlaufbahn bringen. Würden alle Österreicher gleichzeitig ausatmen, dann …
    Bei den Gerichtsmedizinern hat sich freilich eine eindeutige Alkoholsuchtbegründung durchgesetzt. Wie auch bei den Totengräbern und anderen Berufen in der Nähe des Todes.
    Ganz im Gegensatz zu diesem Vorurteil ließen den Doktor Hantschk seine Leichen völlig kalt, er trank, um der Langeweile seines Lebens Herr zu werden, und war solcherart eins mit der großen Masse seiner Mitbürger.
    »Servus Oberst, schaust du aber kernig aus. Alpiner Look. Wirklich fesch. Nur weil es ein bisserl schneit da draußen.«
    Straka stellte Cheng vor und bat Hantschk, den Australier aus der Tiefkühltruhe zu holen. Hantschk aber ging zu einem metallenen Beistelltischchen, auf dem unter einer Art Käseglocke ein halbes Hirn gelagert war. Daneben stand eine Doppelliterflasche Grüner Veltliner.
    »Meine Herren, darf ich euch ein Glaserl anbieten?«
    »Dein Wein ist immer eine Katastrophe«, sagte Straka.
    »Du bist ein Snob, Oberst. Du siehst die Dopplerflasche und glaubst, da haben die Weinbauern reingebrunzt. Aber wenn auf so einer kleinen Flasche Chateau de Schaß draufsteht, bist gleich ganz selig.«
    Ohne eine Reaktion abzuwarten, füllte der Arzt drei Gläser.
    »Bedient euch, meine Herren.«
    Die Männer prosteten sich zu.
    »Ich bin einmal in China gewesen«, wandte sich der Doktor an Cheng, »der Wein dort war nicht die Erfüllung. Aber das Bier ist hervorragend. Ein Verdienst der Deutschen. Eines der wenigen allerdings.«
    »Ich bin nie in China gewesen«, offerierte Cheng seinen Standardsatz.
    »Aha. Ich dachte nur …« Und dann dachte er, daß Cheng wahrscheinlich Taiwaner sei und es vernünftiger wäre, das Thema China fallenzulassen. Hantschk füllte sein und Chengs Glas nach. Straka hatte vorsichtshalber über seines die Hand gelegt.
    »Na gut, meine Herren. Schauen wir uns halt den Australier an.«
    Er schob die Leiche aus der Kühlbox, öffnete den Kunststoffsack. Nicht das Loch zwischen den Augen erschreckte Cheng, sondern die bleiche Nacktheit des Körpers. Field sah aus, als sei er zu lange im kalten Wasser gelegen. Der Doktor nippte ungerührt an seinem Glas. Und Straka beobachtete Cheng. Nicht, daß er den Chinesen, der kein Chinese war, wirklich verdächtigte, aber schaden konnte es auch wieder nicht.
    »Noch irgendwas gefunden, Doktor?«
    Hantschk schüttelte seinen schweren, kantigen Medizinerschädel.
    »Keine Spuren eines Kampfes. Der garstige Mensch, der das verschuldet hat, hat wohl nichts für Körperkontakt übrig gehabt.
    Schad’ für uns. Aber was soll man machen. Manche Mörder sind eben unfair.«
    »Und Sie, Cheng, können Sie irgend etwas Auffallendes entdecken?«
    »Nein. Was sollte ich auch entdecken? Das ist Ran, und er ist tot.«
    »Na gut. Danke, Doktor.«
    Hantschk schloß den Zippverschluß. Cheng fröstelte. Und selbst Straka wirkte verstört. Der Doktor mußte lächeln – so war es beinahe immer: Selbst übel zugerichtete Leichen schreckten die Leute nicht so sehr wie dieses Schließen der Plastikhülle. Die

Weitere Kostenlose Bücher