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Cheng

Cheng

Titel: Cheng Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Geräusch konnte vielerlei bedeuten, etwa daß eines der dort befindlichen Geräte – Eisschrank, Kaffeemaschine oder Kopierer – einen Seufzer von sich gegeben hatte, daß die gegen die Wand gelehnte Leiter sich von selbst verrückt hatte, daß der Boden grundlos knarrte, daß das Patricia-Highsmith-Poster sich von der Wand gelöst hatte, daß Mäuse oder harmlose Geister ihr Unwesen trieben oder es durch die Decke tropfte. Es konnte aber auch bedeuten, daß jemand die verschlossene Wohnungstür geöffnet hatte. Und genau dies entsprach Chengs Vermutung, und zwar vollkommen zu Recht. Nun war Cheng nicht so ein ängstlicher Typ, wie es Ran gewesen war, schon weil sein Berufsethos kaltes Blut vorschrieb, und er lag ja auch nicht im Bett und stand auch nicht unter der Dusche, er war bloß besoffen und fand es mit einem Mal viel zu warm da neben dem Ofen, weshalb er zunächst einmal seine Füße herunternahm und sein Glas vorsichtig auf den Tisch stellte. Die Leute in der Wohnung über ihm sangen O Tannenbaum , wie treu sind deine Blätter . Er hatte gedacht, es heiße wie grün sind deine Blätter . Auf jeden Fall sangen sie, als würden sie unter vorgehaltener Pistole dazu gezwungen werden. Was Cheng an seine eigene Waffe erinnerte, die er vorsichtig aus der Schublade zog. Dabei entdeckte er den Lottoschein, den er doch tatsächlich vergessen hatte aufzugeben, und für einen kurzen Moment bestand seine Hauptangst darin, sich in die Reihe jener Unglücklichen einzuordnen, die auf so schreckliche Weise für ihre Vergeßlichkeit büßen mußten. Und vor deren Schicksal zu warnen der Staat nicht müde wurde.
    Ein weiteres Geräusch aus dem Vorzimmer erinnerte ihn daran, daß ein bösartiges Leben auch noch andere Probleme bereithielt als Lotto und schlechten Gesang. Da er eine recht gute Zielscheibe abgab (zudem war er ein schlechter Schütze, was durch seine Kurzsichtigkeit verstärkt und durch das Faktum, daß er keine Brille trug, nicht gerade wettgemacht wurde), ließ er sich zu Boden gleiten.
    Die Waffe fühlte sich in seinen feuchten Händen an wie der ölige Griff einer Bratpfanne.
    Jeder kennt das: Einmal will man leise sein – völlig unmöglich. Er kroch auf allen vieren durch den Raum, und unter ihm schrie der Boden, als reiße man ihm die Bretter aus dem Leib. Dennoch erreichte er die Tür zum Vorraum. Er preßte sein Ohr gegen das Holz und wartete. Wartende Menschen sind interessanterweise gerade dadurch aus der Fassung zu bringen, daß ihr Warten belohnt wird (indem das eintritt, worauf sie gewartet haben). Cheng schrie auf, denn er glaubte, daß genau dort, wo sein Ohr war, nun ein Elektrobohrer durchs Holz stoße, und sah den Bohrer schon in seinem Gehörgang. Tatsächlich war es nur ein Kratzen am Holz gewesen, glücklicherweise, denn in seinem Schrecken hatte Cheng zwar geschrien, sich aber keinen Millimeter bewegt. Endlich entschlossen, die Sache in die Hand zu nehmen, riß Cheng die Tür auf und zielte, die Waffe mit beiden Händen filmecht umklammernd, in den Vorraum. In dessen Mitte stand eine schwarze Katze, die vollkommen ruhig blieb. Wie die meisten Katzen hatte sie gelernt, sich an das neurotische Verhalten von Menschen und deren Hang zu verkrampften Körperhaltungen zu gewöhnen.
    Der Kater Batman hatte Hunger, und da war nun niemand anderer in Sichtweite als dieser Kerl mit seinen geschlitzten Augen, der seine Waffe hielt, als besitze sie die Schlüpfrigkeit einer Salzgurke, und dessen knieweiche Körperhaltung seine Unsicherheit verriet. Batman hatte nicht im Sinn, jemanden zu verunsichern, weshalb er unter gurrenden Lauten auf Cheng zutrabte, um sich an dessen eigentümlich abgewinkelten Beinen zu reiben. Cheng hatte seine Schußposition deshalb beibehalten, weil er einfach nicht glauben konnte, daß die einzige Bedrohung in der Freßsucht dieser schwarzen Ausgabe einer Europäischen Kurzhaarkatze bestehen sollte. Aber nachdem er alle Nebenräume und die verschlossene Wohnungstür überprüft hatte – die Kette war nicht vorgelegt gewesen, und sein angebliches Sicherheitsschloß konnte von einem einschlägig gebildeten Menschen innerhalb von Sekunden geöffnet werden –, lockerte er seine angespannten Glieder, legte die glitschige Pistole in die Lade zurück, wechselte sein Hemd und zündete sich eine Zigarette an. Batman, dessen Hunger seine vernunftbedingte Trägheit überwog, blieb Cheng auf den Fersen.
    Cheng läutete bei seiner linken Nachbarin, einer Pensionistin, die drei Katzen

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