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Cheng

Cheng

Titel: Cheng Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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ist?«
    »So wurde mir gesagt.«
    Der Bibliothekar tippte noch eine Weile über seine Tastatur, als kontrolliere er den Inhalt einer Bonbonniere, dann lehnte er sich zurück und schüttelte den Kopf.
    »Tut mir wirklich leid. Der Titel ist unauffindbar. Und ein Autor mit diesem Namen … also in unserem Verzeichnis existiert er nicht. Ist der Mann Österreicher?«
    »Ja, allerdings lebt er schon lange in den Staaten.«
    »Hat er außer diesem St . Kilda noch etwas publiziert? Oder kennen Sie vielleicht den Verlag?«
    »Tut mir leid. Wie schon gesagt, meine Information ist ausgesprochen dürftig. Ich habe Herrn Chaloupka zufällig kennengelernt. Er redete viel von seiner Schriftstellerei.«
    Der Bibliothekar lächelte verächtlich (wie alle Bibliothekare verfaßte er entweder selbst unverkäufliche Literatur, oder er war voller Haß gegen die verkäufliche Literatur, oder beides).
    »Kommt vor, daß manche über die paar Zeilen, die sie zustande gebracht haben, derart schwärmen, daß man meint, sie reden über ein tatsächliches Buch. Versuchen Sie es in der Nationalbibliothek, aber machen Sie sich keine großen Hoffnungen. Ich befürchte, Ihr Herr Chaloupka ist ein Hochstapler.«
    »Nun, das wäre bedauerlich. Auf jeden Fall danke ich Ihnen für Ihre Mühe.« Der alte Mann unterstrich seinen Dank mit einer großzügigen Bewegung seines Spazierstocks und verließ die Bücherei.
    Cheng hatte sich während des Gesprächs dem Schalter genähert und folgte dem Mann nun nach draußen. Dieser besaß den schnellen, beschwingten Gang jener Senioren, die sich für unverwundbar halten. Cheng hinkte eilig hinterher, pfiff nach Lauscher, der den Pfiff natürlich nicht hörte, aber instinktiv oder warum auch immer erwachte, die ungewöhnlich hektische Bewegung seines sogenannten Herrchens registrierte, also einen Bruch in der Routine, und deshalb Böses ahnte, zumindest Beschwerliches.
    Gar keine Frage, das war ganz einfach nicht der Tag, um sich dem verrückten Tempo eines selbstverliebten Junggebliebenen anzupassen, den die Hitze nicht zu stören schien. Diese tatsächlich vernünftige Erkenntnis traf Lauscher auf der Höhe des Burgtors mit einer Wucht, die ihn zu bedingungsloser Verweigerung veranlaßte, welche ganz typisch ist für kleine Hunde mit großen Ohren (man sieht das immer wieder: diese kleinen Hunde, die sich auf ihre kleinen Hintern setzen und denen die kindischen Drohungen ihrer Besitzer bei den großen Ohren hinein- und hinausgehen).
    Cheng schrie nicht, so dumm war er nicht, aber er versuchte es mit einem flehenden Blick, so dumm war er schon. Lauscher machte mehr einen gelangweilten als einen müden Eindruck (und wenn irgend etwas seine Hundeseele bewegte, dann der Ärger über die eigene Blödheit, sich erst beim Burgtor verweigert zu haben – vielleicht angesichts einer Architektur, die einen Hund daran erinnerte, was von den Handlungen der Menschen zu halten war).
    Im Grunde hätte Cheng seinen Hund einfach stehenlassen können, um ihn Stunden später wieder abzuholen (einmal allein gelassen, verfiel Lauscher in eine Art meditativen Zustand), aber der Ort war zu exponiert, die Gefahr zu groß, daß Lauscher engagierten Bürgern in die Hände fiel, welche Hunde ohne Menschen für etwas schlichtweg Unmögliches hielten und die Polizei alarmieren würden.
    Also blieb Cheng nichts anderes übrig, als Lauscher, der inzwischen die Haltung einer hölzernen Buddhastatue angenommen hatte, unter den Arm zu nehmen. Und als er da über den Heldenplatz humpelte, einarmig, keuchend, etwas unter die Achsel geklemmt, das aussah wie eine ausgestopfte Riesenfledermaus, und er jetzt bemerkte, daß die Leute die Köpfe schüttelten und die Kinder sich mit den Fingern dort antippten, wo bei ihnen eine Zeitbombe aus Videospielen steckte, da dachte Cheng kurz, er sei wohl verrückt geworden, sich derart aufzuführen. Was ihn aber nicht daran hinderte, weiterhin jenen rasch dahinschreitenden Mann zu verfolgen, der das Flair eines Salonlöwen besaß.
    Am Kohlmarkt und am Graben sah der Salonlöwe hin und wieder in eine Auslage, betrat auch mehrere Buchhandlungen, setzte sich in eine Bar, wo er kurz mit einem Mädchen plauderte, welches in der Hauptsache mit einem Paar strumpfenger Stiefel aus Stretchsatin bekleidet war, erkundigte sich in einem Antiquitätenladen nach dem Preis einer Stehuhr und verhinderte mittels dieser kleinen Unterbrechungen, daß Chengs Herzmuskel an die letalen Grenzen seiner Leistungsfähigkeit

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