Cheng
Lauscher eine Schüssel Wasser und etwas, das ganz offensichtlich eine Wurstplatte für den großen Appetit war. Lauscher war nicht unzufrieden. Irgendwie schien sich diese absurde Aktion also doch noch zu lohnen. Danach wurde Cheng sein Bier serviert, welches exakt so beschaffen war, wie oben beschrieben, nur etwas teurer.
Cheng zündete sich eine Odyssee Lights an. Er hatte zu schwitzen aufgehört, so wie es zu regnen aufhört.
Cheng benötigte drei lauwarme Biere, bis er auf die naheliegende Idee kam, die Kellnerin nach dem Salonlöwen zu fragen. Als sie Lauscher eine Portion Schlagobers brachte (daß er davon Durchfall bekam, war Lauscher sehr egal, nicht weil er unvernünftig war, sondern fand, daß es wirklich Schlimmeres gab als das bißchen Durchfall), da fragte Cheng nach dem älteren Herrn. Eine kurze Beschreibung genügte. Professor Geissler war in diesem Lokal bekannt als ein großzügiger, trinkfester Flaneur. Ehemals Primar und Universitätsprofessor, nun bereits über siebzig, schnipselte er hin und wieder an irgendwelchen betuchten Halbtoten herum, die auf den Geissler schworen wie die Sozialdemokraten auf den Kompromiß. Die Wohnung in der Bäckerstraße nannte er liebevoll seine Studentenbude, denn eigentlich residierte er in einer Hietzinger Villa, aber dort schimmelte auch seine gleichaltrige Gattin dahin, die unter Anfällen von Eifersucht litt, und zwar vollkommen zu Recht – wie die Kellnerin vorsichtig andeutete, während ihr gleichzeitig einfiel, daß sie sich mit Informationen über Stammgäste eigentlich zurückhalten sollte. Cheng bemerkte ihre Unsicherheit und erklärte, er habe bloß gefragt, weil ihm dieser Mann bekannt vorgekommen sei, aber das sei ein Irrtum gewesen. Und dann bestellte er ein letztes lauwarmes Bier, während Lauscher auf die Straße ging und etwas in den Rinnstein spie, das aussah wie Wurstsalat mit Joghurtdressing.
Zwei Tage später rief er bei Edlingers an. Die Frau Professor war in guter Stimmung, mit ihrer Ehe stünde es noch immer zum besten, manchmal denke sie, es sei wie im Traum, und so ein Traum müsse doch irgendwann einmal enden. (Nun, so unwahrscheinlich es klingen mag, kein kleinlicher Ehekrieg, sondern nur der Meister der Nacht war imstande, den Traum zu beenden, indem er ziemlich genau drei Jahre nach diesem Telefonat den Herrn und die Frau Professor eine Einladung zur traditionellen Weinverkostung der kanadischen Darwin-Gesellschaft in Montreal annehmen ließ und sie nicht davon abhielt, in ein Flugzeug zu steigen, das wegen irgendeiner technischen Lappalie – die Macht der Schraube –, statt in Montreal anzukommen, in der Luft explodierte. Einer Befreiungsbewegung kam der Absturz sehr gelegen, da es in ihrer Organisation einen Engpaß an Selbstmordattentätern gab. Das Bekennerschreiben wurde von allen Seiten mit Wohlwollen angenommen, schließlich war der Presse, dem Publikum, den von der Terrorangst profitierenden Regierungen und nicht zuletzt der Fluggesellschaft ein Attentat lieber als die banale Tatsache, daß die Wartung der Flugzeuge mit derselben Sorgfalt erfolgte, mit der in den Spitälern dieser Welt todkranke Mindestrentner versorgt werden. Auch die Untersuchungskommission war mit sich zufrieden, weil sie es verstanden hatte, aus dem zerschmolzenen Kunststoffbumerang eines Urlaubers eindeutige Hinweise auf den berühmtberüchtigten rumänischen Plastiksprengstoff herauszulesen – was täten wir ohne die Rumänen? Natürlich profitierten auch Private von diesem Flugzeugunglück. Insgesamt etwa zwanzig Millionen Dollar gingen an diverse Erben, von Lebensversicherungen, Immobilien und Zahlungen der Fluggesellschaft einmal abgesehen. Und ganz abgesehen von der Erleichterung so mancher Person, endlich den verhaßten Gatten, Chef, die verhaßten Enkelkinder oder wen auch immer los zu sein. Gar keine Frage, niemand kann ausschließen, daß es auch unglückliche Hinterbliebene gab, etwa jene, die Schulden geerbt hatten oder ein Vermögen, das an Bedingungen gebunden war, die einen an den Rand eines Nervenzusammenbruchs bringen konnten, oder jene Leute, die ein williges Opfer ihrer Unterdrückungsleidenschaft verloren hatten. Und natürlich gab es auch Spielcasinos, Massagesalons, Buchgemeinschaften, Steuerberater, Kirchen und Stammlokale, die um einen guten Kunden oder ein zahlendes Mitglied trauerten. Aber im großen und ganzen ist so eine Flugzeugkatastrophe – entgegen der allgemeinen Darstellung – eine Quelle des Glücks und der
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