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Cheng

Cheng

Titel: Cheng Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Schuldigkeit getan zu haben.
    Denn die Hundebesitzer im Schönbornpark hielten sich für tolerante Menschen, welche den dumpfen Fremdenhaß der Proleten ablehnten (eigentlich lehnten sie daran bloß die Proleten ab). Doch sich mit Cheng zu unterhalten, wagten sie nicht. Schließlich wußte man nicht einmal, welcher Sprache dieser Mann mächtig war. Also kommunizierte man statt dessen mit dem sprachlosen Lauscher. Daß dieser Hund taub war, konnten sie nicht wissen und sich angesichts seiner gewaltigen Ohren auch gar nicht vorstellen. Dazu kam, daß Lauscher ihnen hin und wieder einen von diesen Blicken schenkte, wie Menschen glauben, daß Hunde dreinschauen, wenn sie Menschen verstehen.
    War der Pflichtbesuch im Schönbornpark erledigt (aus irgendeinem Grund empfand es Cheng als Pflicht), ging er oft noch in die Bücherei in der Skodagasse. Früher hatte er diesen Ort gemieden, aber seit er meinte, über soviel mehr Zeit zu verfügen, spazierte er gerne durch die Bibliothek, nicht zuletzt um sich Bücher auszuleihen, zumeist wissenschaftliche, die er jedoch immer nur anlas. Es war nicht uninteressant, etwas über die Geschichte der Schweizer Armeeuniform, über das Gottesbild der Spätgotik oder die Justiz in alter Zeit zu erfahren, aber ganze Bücher darüber wollte er nun doch nicht verdauen.
    In der Zwischenzeit machte es sich Lauscher draußen in der Ecke neben den Fahrradständern bequem. Es war nicht nötig, ihn anzubinden. Niemand würde einen solchen Hund stehlen. Und Lauscher selbst kannte keinen einzigen weltlichen Grund, auf die Straße und unter ein Auto zu laufen.
    Die Luft in den Bibliotheksräumen war nie sonderlich gut, aber an diesem Tag stand die Hitze zwischen den Regalen, grau, schleimig, übergewichtig und bewegungslos. Nur ein paar ältere Damen (wie das ganze Jahr über in dunkle Mäntel gepackt, ängstlich besorgt, nur keinen Windzug zu erwischen) suchten nach Schicksalen, über denen die Leidenschaft so schwer hing wie die Hitze über dieser Stadt.
    Die Bibliothekare saßen müde und verschwitzt hinter ihren Tischen und träumten vom Freiluftleben der Bademeister. Cheng überfiel eine Müdigkeit, die so übermächtig war, daß er darüber den Ekel vergaß, den ihm seine schweißnasse Wäsche bereitete. Er setzte sich auf einen niedrigen Stuhl unterhalb der Zeitgeschichte und döste vor sich. Er dachte an Männer, die durch eine endlose Eiswüste marschierten und denen die Zehen und die Finger abstarben und Eiszapfen aus den Nasenlöchern wuchsen und die Augenflüssigkeit gefror und die nicht einmal mehr wußten, ob sie sich auf dem Weg zum Nordpol oder bereits auf einem hoffnungslosen Rückmarsch befanden. Sie waren am Ende ihrer Kräfte. Aber viel schlimmer war der Umstand, daß sie nun an einem Supermarkt vorbeikamen, einem riesigen, häßlichen Ding, das frech und selbstherrlich in der ansonsten leeren Landschaft protzte. Auch mit Sonderangeboten protzte, mit einer Spielhalle und einer medizinischen Station, wo man eine ganze Reihe von Kreditkarten akzeptierte. Die Männer, die, wenn schon nicht den Tod, dann immerhin die Todesnähe gesucht hatten, fühlten sich gedemütigt. Natürlich hätten sie einfach daran vorbeimarschieren können, aber wer tut das schon. Dabei war es sicher nicht die medizinische Station – wo man ihnen gegen gutes Geld die Zehen fachgerecht amputieren würde –, die sie auf eine deprimierende Weise anzog, sondern die Möglichkeit, sich mit sechs Dosen Carlsberg-Bier zum Preis von vier um den Verstand zu saufen.
    » St . Kilda? Also, ich weiß nicht recht.«
    Cheng schrak auf. Obwohl der junge Bibliothekar weit entfernt saß, war seine Stimme mit der Präzision eines Laserskalpells in sein Ohr gedrungen. Cheng beugte sich vor.
    »Wie, sagten Sie doch gleich, soll der Autor heißen?«
    »Chaloupka, Erwin Chaloupka, ch und ou«, erklärte ein älterer Mann, der vor dem Schalter stand. Einer von diesen Grandseigneurs, die auch bei der ärgsten Hitze eine Weste unter der Jacke trugen, die nie ohne Krawatte aus dem Haus gingen und dabei auch noch aussahen, als genössen sie diese Temperaturen. Mit beiden Händen hielt er einen Spazierstock umfaßt, auf den er sich aber nicht stützte, sondern mit dessen Spitze er kleine, sehr geordnete Figuren in die Luft kratzte.
    Der Bibliothekar, der im Windkanal seines Ventilators wie feuchte Bettwäsche flatterte, beugte sich über den Computer und erfüllte seine Pflicht.
    »Und Sie sind sicher, daß es auf deutsch erschienen

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