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Cheng

Cheng

Titel: Cheng Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Gesicht an Eddy Slivka in seiner letzten, seiner wirklich letzten Runde gegen Denny »Doom« Douglas erinnerte (und jeder, der sich erinnern kann, weiß, daß dieser Kampf nur deshalb bis in die fünfzehnte Runde ging, weil Denny, der Todesengel von St. Louis, kein Boxer, sondern ein scheußlicher Sadist war, dem es Lust bereitete, seine Opfer peu à peu zu erledigen).
     
    Trotz der Mühe, die sich Frau Hammerschmid gab, hatte Cheng nun eine Unmenge Zeit. Genaugenommen war das ja auch schon vorher der Fall gewesen. Aber aus Gründen, die allgemein als psychologisch bezeichnet werden, empfand Cheng den Umstand, nur selten engagiert zu werden, nun schlimmer als zuvor. Auch fühlte er sich einsamer, dabei hatte er mehr Besuch denn je. Und zu seiner Überraschung ging ihm Batman ab. Weshalb er beschloß, sich ein Tier zu nehmen. Er fand, daß zu einem Detektiv ein Hund besser passe, zudem hatte der Arzt empfohlen, ausreichend Spaziergänge zu unternehmen. Meinen Sie Behindertensport? hatte Cheng den Arzt gefragt, welcher daraufhin bloß die Augen verdrehte, weil ihm der Standardzynismus der Invaliden gehörig auf die Nerven ging.
    Er nannte ihn Lauscher.
    Lauscher war wohl aus dem Liebesglück eines Schäfers mit einem Dackel hervorgegangen, wobei der Schäfer offensichtlich nur seine Ohren hatte durchsetzen können, die nun auf dem kleinen Hund wie aufgesteckt und sehr voluminös wirkten. Was andererseits nichts daran änderte, daß Lauscher ziemlich taub war. Was wiederum zu dem Eindruck führte, er wäre ein ziemlich dummer Hund, weil er partout nicht auf jene Befehle hören wollte, die Menschen sich ausdenken, um die relative Intelligenz von Hunden zu testen (freilich sagen Art und Gestaltung von Befehlen vor allem etwas über die Beschränktheit des Befehlenden aus).
    Cheng gab es bald auf, irgendein primitives Geschrei hinter Lauscher herzuschicken, um so mehr als Lauscher sehr gut begriff, daß Autos dazu da waren, alles Nichtmotorisierte platt zu fahren, und daß es vernünftiger war, den kleinen raffinierten Sadisten, die hier Kinder hießen, aus dem Weg zu gehen. Die Welt der Menschen war ja nicht nur laut, sondern auch leicht durchschaubar, zumindest für Hunde.
    Lauscher besaß einen Blick, den viele als depressiv bezeichneten, was Cheng ein wenig peinlich war. Dabei war Lauscher sehr zufrieden mit seiner Situation, was nach dem Tierschutzhaus und der Geschichte, die ihn dort hingeführt hatte, auch kein Wunder war. Aber an seinem Blick war sowenig zu rütteln wie am sogenannten Lächeln der Delphine.
    Der Weg, den Cheng und Lauscher gingen, war täglich der gleiche, was Lauscher mit seinem Hang zur Routine sehr schätzte. Er blieb sozusagen im Bezirk. Pötzleinsdorf etwa mochte eine wunderschöne, für Hunde ideale Gegend sein, aber Lauschers Zufriedenheit (die aus einer sehr praxisbezogenen Bescheidenheit resultierte) war so vollkommen, daß ihm der sportive und romantische Aspekt, den Pötzleinsdorf möglicherweise bot, gleichgültig war.
    Mag sein, daß der Hundebereich im Schönbornpark nichts anderes war als mit Unrat planierte Erde und daß die dort versammelten Köter so degeneriert waren wie ihre in Josefstädter Großbürgerplatitüde erstarrten Besitzer, mag sein, daß seine Vorfahren lieber krepiert wären, als die Beschwernisse, aber auch Schönheiten der Wildnis gegen ein Leben in urbaner Versklavung einzutauschen, mag sein, daß es Aufregenderes gab, als an der Seite eines einarmigen, hinkenden, ziemlich beschäftigungslosen Privatdetektivs in die Auslage der Buchhandlung Gottschalk zu glotzen beziehungsweise auf den bodennahen Teil der Fassade, mag sein, daß man länger lebte, wenn man hinüber in den ersten Bezirk ging, um zwischen Windhunden und Deutschem Kurzhaar über jenen Platz zu jagen, an dem die Wiener so gerne an sie gerichtete Flammenreden vernahmen, mag sein, daß alles damit begonnen hatte, daß vor Urzeiten irgendein Wolf, der nicht ganz richtig im Kopf gewesen war, beschlossen hatte, Menschen nicht mehr zu reißen, sondern als seinesgleichen zu empfinden, wie auch immer, Lauscher war froh über ein Leben, in welchem etwa der Josef-Weinheber-Platz bereits zum weit entfernten Ausland zählte und die einzigen wirklichen Aufregungen im Fernsehen stattfanden.
    Seit Chengs Silvestererlebnis war über ein halbes Jahr vergangen. Ein ungewöhnlich heißer Spätsommer drückte die Stadt an sich, so wie man Kinder und Haustiere an sich drückt und heiße, feuchte Küsse in ihre

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