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Cheng

Cheng

Titel: Cheng Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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widerwilligen Gesichter quetscht. Die Nachmittagssonne warf Schatten von erträglicher Schönheit. Im Schönbornpark herrschte eine Ruhe, die sicher nicht heilig war, aber beträchtlich. Der glühende Beton des Basketballplatzes glühte alleine, denn die Kids standen in den Schwimmbädern vor darmartig gewundenen Rutschen Schlange. Und wenn es nach den Hundebesitzern gegangen wäre, hätten sie in den Darmverschlingungen steckenbleiben und verrecken können.
    Die Hundebesitzer saßen in kurzen Hosen und weiten Röcken auf den Bänken und diskutierten darüber, wie im September eine derartige Hitze überhaupt möglich war. Wenn es ihnen auch an gewissen meteorologischen Termini mangelte, so waren ihre diversen Erklärungen des Hitzephänomens ein Spiegelbild wissenschaftlichen Denkens, welches niemals auf Erkenntnis beruht, sondern auf einer beschränkten Weltsicht (beschränkt im Sinne von eingeengt; eingeengt durch Gehirn- und Gemütserkrankungen wie Religion, Aufklärung, Standesbewußtsein, Schulbesuche, Sprachzwang etc.). Was nützt da das angenommene Faktum eines sogenannten Ozonlochs, wenn sowohl die Wissenschaftler als auch die Besucher der Hundezone des Schönbornparks dieses Loch einzig über ihre beschränkte Weltsicht interpretieren können und jede neue Erkenntnis das Loch betreffend sich einzig dafür eignet, jede Art von Vorurteil zu beweisen. Wobei die Beweiskraft einzig vom Geschick der Beweisinszenierung abhängt (worunter nicht nur Beweisrhetorik, Beweisinstallierung und Beweismarketing zu verstehen sind, sondern auch die Verwandlung der Wirklichkeit in einen beweisadäquaten Zustand).
    Und natürlich kamen die Hundebesitzer im Laufe der Ozonlochdebatte auf den österreichischen Journalismus zu sprechen, eines ihrer Lieblingsthemen. Nichts taten sie so gerne, als sich über all die redaktionellen Schreiberlinge zu empören, über deren Uninformiertheit und Anmaßung. Dabei waren die Hundebesitzer elitär genug, sich gegen jegliche Art von Pressearbeit auszusprechen. Die einen Publizisten empfanden sie als latente Nestbeschmutzer, die anderen als gefährliche Hetzer, welche bloß den Philistern ins Maul sahen. Und die, welche dazwischen lagen, wurden nicht einmal mehr als Journalisten bezeichnet, sondern nur noch als »Wörteraneinanderreiher«. Die Aufgabe des Journalismus schien allein darin zu bestehen, den Hundebesitzern zu einer Erregung zu verhelfen, zu einer hochdramatischen Erhitzung ihrer Gemüter. War das nicht ohnehin der schönste Ausdruck des Wiener Wesens: das erhitzte Gemüt, dieser willentlich heraufbeschworene Bluthochdruck?
    Ein adäquates Bild für diese Hypertonie des Geistes gab gerade Herr Max Reiser ab, seines Zeichens Besitzer eines nervösen Foxterriers. Der »schöne Max«, wie ihn alle nannten, saß mit hochrotem Schädel auf einer Bank, flankiert von zwei aufmerksam zuhörenden Damen, und beklagte sich über den Verriß eines Theaterstücks. Er selbst hatte die Inszenierung noch nicht gesehen. Aber darauf kam es schließlich nicht an, dafür gab es ja Zeitungen, um eben nicht in jedes Stück selbst laufen zu müssen. Um von der Parkbank aus sich eine Meinung über die Welt zu bilden. Beziehungsweise über den Journalismus.
    Der »schöne Max« fühlte sich bemüßigt, eine Schauspielerin, die in dieser Kritik attackiert wurde, zu verteidigen, auch wenn er wenig bis nichts von dieser Bühnenkünstlerin hielt. Aber der Umstand, daß irgendein dahergelaufener Theaterkritiker eine Dame in den Schmutz zog, verführte Reiser zu der Anschauung, daß man diesem Kerl »sämtliche Finger brechen sollte«.
    »Bildlich gesprochen«, ergänzte er lächelnd und schloß seine Erregung mit einem seiner Lieblingszitate ab, mit einer Äußerung Oscar Wildes: »In früheren Zeiten hatten wir die Folter. Jetzt haben wir die Presse.«
    Als Cheng nun in die Parkanlage trat, begrüßte er die anwesenden Hundebesitzer. Und diese grüßten Lauscher. Sie taten stets begeistert, wenn sie den kleinen Hund mit den großen Ohren sahen, diese befremdliche Promenadenmischung. Bei ihren eigenen Hunden handelte es sich zumeist um oberklassige Pudel und Schäferhunde und Neufundländer. Aber indem sie Lauscher »süß«, zumindest originell fanden, meinten sie, eine Art von Liberalität zu praktizieren. Dadurch, daß sie ihm über seinen Kopf strichen oder einen bewundernden Kommentar über die äußere Erscheinung seines Hörorgans ablieferten, meinten sie, auch gegenüber dem fremdländischen Cheng ihre

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