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Cheng

Cheng

Titel: Cheng Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Zufriedenheit. Wie die Toten darüber denken, wenn sie denken – nun, wer kann das schon sagen, und vor allem: wer will das schon wissen.)
    Cheng hatte gehofft, Edlingers würden den Doktor Geissler kennen, aber selbst in Hietzing kam es hin und wieder vor, daß eine Professorenfamilie eine andere Professorenfamilie nicht kannte. Oder zumindest so tat, da man einander viel zu gut kannte.
     
    Am selben Tag rief ihn die Hammerschmid an. Auch ihr Liebesglück befand sich unglaublicherweise noch immer in einem Zustand, der klar und übersichtlich war wie ein japanisches Gewürzregal und dennoch von einer Leidenschaft getragen, die – völlig untypisch – ohne Erniedrigung, Handschellen und Tabletten auskam. Im Unterschied zu Edlingers würde es jedoch diesen beiden nicht vergönnt sein, glücklich vereint aus dem Leben zu scheiden. Fünf Jahre später wollte ein offenkundig bösartiges Schicksal, daß Frau Hammerschmid der Brief einer jungen Frau in die Hände fiel, die den in der Zwischenzeit nicht mehr ganz so jungen Poeten mit jenen heißen Küssen bedachte, die nichts bringen außer Ärger. Hätte zu dieser Zeit Cheng zur Verfügung gestanden, es wäre ihm nicht schwergefallen zu beweisen, daß die herausragendste Qualität der jungen Frau die war, besonders lästig zu sein, und daß der Poet nichts dafür konnte, solche Post zu erhalten. Nun, Cheng stand aber nicht zur Verfügung, und so kam es, daß in Frau Hammerschmids Schädel eine Wand umfiel, eine tragende Wand, die einen beträchtlichen Schaden anrichtete, indem sie ausgerechnet auf ihren Verstand fiel, der in keinem Kopf viel Platz einnimmt und trotzdem immer wieder unter einstürzenden Wänden begraben wird. Frau Hammerschmid holte eine Pistole aus ihrem Tresor, vergaß nicht, wie die meisten anderen, die Waffe auch zu laden, marschierte zu der an diesem Abend stattfindenden Lesung ihres Geliebten und knallte den soeben die Gedichte Vortragenden einfach ab – ohne Kommentar und mit der Beherrschtheit einer Frau, die den Verstand verloren hat. Wenn sie auch die Kugel nicht vergessen hatte, so doch ihre Brille. Denn unglücklicherweise (zumindest ungerechterweise oder zumindest strenggenommen ungerechterweise) handelte es sich bei dem Rezitator nicht um ihren Geliebten, sondern um einen in dieser Hinsicht völlig unschuldigen Burgtheaterschauspieler, der sich nach langem Bitten und Flehen dazu bereit gefunden hatte, auch einmal etwas für die experimentelle Literatur zu tun, die er eigentlich für ziemlich überflüssig hielt, eigentlich widerwärtig, andererseits: man hatte ihn wirklich sehr lieb gebeten, und mein Gott, hatte er gesagt, er habe zwei Burgtheaterdirektoren überlebt, da würde ihn das bißchen Avantgarde auch nicht umbringen. Daß dieser Ausspruch noch Jahre später auf den Stammtischen seiner Feinde und Neider einiges Vergnügen bereitete, kann man sich vorstellen.
    Daß Frau Hammerschmid den Falschen erschossen hatte, wurde ihr leider nicht als Abschwächung ihres Delikts ausgelegt, sondern ganz im Gegenteil – denn es wurde deutlich, daß eine derartige Schlamperei nicht einfach hingenommen werden könne und eine hohe Strafe verdiene (der Staatsanwalt zeigte tiefste Verachtung für eine Person, die zwar an Mord dachte, nicht aber an die eigene Kurzsichtigkeit, und fand es überhaupt typisch, wenn eine Frau den Falschen erschoß).
    Der nicht mehr ganz so junge Poet schrieb daraufhin nicht mehr ganz so experimentelle Gedichte, war natürlich recht unglücklich, andererseits aber auch recht erfolgreich, und gelangte schließlich wie die meisten Menschen zu der Ansicht, daß man nicht ewig in den alten Geschichten herumrühren könne, weil das ja nichts ändere undsoweiter.
     
    Frau Hammerschmid berichtete also von ihrem ungetrübten Liebesglück und betonte wieder einmal, daß sie es im Grunde Cheng verdanke. Nachdem sie einige Zeit herumgezirpt und gesäuselt und geschmeichelt hatte, kam sie darauf zu sprechen, daß sie einen ihrer Angestellten verdächtige, wichtige Informationen an ein Konkurrenzunternehmen weitergegeben zu haben, was sie aber nicht wirklich beweisen könne.
    Das war einer von diesen unguten Jobs. Einen kleinen Buchhalter beschatten, der mit seiner kränklichen, besitzergreifenden Mutter im Gemeindebau wohnt und davon träumt, die Alte ins Heim zu stecken, um dann endlich das Leben eines Erwachsenen zu führen. Aber nicht in dem stickigen, dunklen Büro, in dem bloß die Kalender wechseln und in dem er seit zehn

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