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Cheng

Cheng

Titel: Cheng Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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geriet.
    Wenngleich Cheng alles andere als unauffällig wirkte, so war er doch ein Meister der Beschattung. Er persiflierte die Beschattung zur Unkenntlichkeit. Und folgte dem Mann bis in die Bäckerstraße, wo dieser ein Haus betrat. Da Cheng das Gefühl hatte, sein rechter Arm sterbe langsam ab (während es dem linken ausgezeichnet ging), setzte er sich gegenüber dem Hauseingang in ein Lokal, das zur Straße hin offen war. Lauscher stellte er zu Boden, als habe er ihn soeben bei einer Kuriositätenauktion im Dorotheum ersteigert.
    Das Serviermädchen war wenig begeistert über einen Gast, dessen Visage so wenig in das noble Ambiente paßte. Wie die meisten in diesem Metier hatte sie die Standesdünkel der Klasse übernommen, die sie bediente. In ihrem hübschen, wertlosen Gesicht spiegelte sich jene dumpfe Arroganz der Herrschaft, die sich so oft auf die Knechte überträgt. Allerdings hatte sie ein tiefgehendes Faible für kleine Hunde mit großen Ohren. Und als sie nun Lauscher entdeckte, verdampfte ihre Ablehnung, und ein Weichzeichner machte sich in ihrem Gesicht zu schaffen. Sie ging zusammen mit ihren eng geschnittenen Jeans in die Knie und legte ihre Hand unter Lauschers Schnauze und quatschte das übliche Zeug von wegen was für ein süßer, kleiner Hund er wäre und was für wunderschöne, große Ohren er besitze und wie er denn heiße. Und weil Lauscher, so süß er auch sein mochte, weder hören noch reden konnte (auch konnte er nicht von den Lippen lesen, denn er sah auch schon recht schlecht), schenkte das Mädchen Cheng einen fragenden Blick. Cheng hatte Skrupel, den richtigen Namen zu nennen, der ja tatsächlich etwas merkwürdig war, wenngleich naheliegend, auf jeden Fall sicher nicht süß, und sagte deshalb: Arthur. Ganz einfach, weil Cheng in diesem Moment Arthur Koestler eingefallen war, konkret ein Foto, das ihn mit Patricia Highsmith zeigt, auf dem, so scheint es, Koestler einige Mühe hat, seinen Arm um Patricias Schultern zu legen. Beide lächeln. Vielleicht weil sie glücklich sind, was man ja nicht völlig ausschließen kann. Cheng wußte nicht, warum ihm dieses Bild eingefallen war. Die einzige dürftige Parallele war eine gewisse körperliche Steifheit Arthur Koestlers auf diesem Foto, die man erkennen konnte, wenn man wollte, und die Lauscher soeben etwas lockerte.
    »Ein hübscher Name«, sagte das Mädchen zu Lauscher gewandt, welcher prinzipiell nichts dagegen hatte, wenn man ihn zum richtigen Zeitpunkt kraulte. Und jetzt war der richtige Zeitpunkt.
    Cheng war schon lange nicht mehr im ersten Bezirk gewesen, der ja bekanntermaßen einer der teuersten und mit Sicherheit der häßlichste Bezirk der Stadt ist und in dem folgerichtig auch die häßlichsten Menschen verkehren, zumindest ebenso häßliche Menschen wie jene, die in Hietzing, Währing und Döbling verkehren, die aber die Möglichkeit haben, ihre durch Betrug, Ausbeutung, Mord und grenzenlose Faulheit erwirtschafteten Villen zwischen sehr viel Grün einzubetten, manchmal regelrecht einzutunken, während die Architektur der Innenstadt in ihrer verräterischen Großmannssucht und Scheußlichkeit und in ihrer geradezu infantilen Anpassung an das internationale Architekturverbrechen vollkommen offen daliegt.
    Cheng erinnerte sich, daß die Bäckerstraße vor nicht allzu langer Zeit in den Schlagzeilen gewesen war. Sämtliche honorige Mitglieder eines exklusiven Philatelistenclubs, ein ganzer ordenbehangener Haufen von pensionierten Korruptionisten, waren tot in ihren Vereinsräumen in der Bäckerstraße aufgefunden worden. Wobei unklar geblieben war, ob man sie ermordet oder die alten Herren sich den Spaß gegönnt hatten, ihren kollektiven Suizid dramatisch zu inszenieren. Cheng, der sich wenig um den Boulevard kümmerte, hatte die Details nicht mehr in Erinnerung. Er nahm sich vor, Straka danach zu fragen.
    Die Kellnerin war aufgestanden, strich sich ihre Jeans zurecht und schenkte Lauscher einen Blick, der Wüsten erblühen ließ, Militärs zur Dichtung verführte und Dichter zum Handeln und selbst Zahnärzte zum Verstummen brachte, aber Lauscher ziemlich unberührt ließ.
    Wer so einen süßen Hund besaß und ihn noch dazu Arthur nannte, konnte kein Unmensch sein, weshalb die Kellnerin Cheng die Chance gab, eine Bestellung aufzugeben. Er nützte sie und bat um ein großes Bier, das wie jedes Bier im ersten Bezirk warm, schal, ohne Schaum, in dreckigen Gläsern serviert und sauteuer sein würde.
    Zunächst einmal bekam

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