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Cheng

Cheng

Titel: Cheng Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Ausdruck, der nicht zu ihm paßte, oder besser gesagt, der nicht zu dem Bild paßte, welches einem Salonlöwen entsprach. Mit ihm kam eine Frau, vielleicht fünfzig, eine elegante Erscheinung, Stanwyck-Typ. Eine von diesen schwarzweißen Heldinnen, die auf eine anziehende Weise steif und streng wirken und immer ein wenig tragisch. Mit einer Geste der Erschöpfung glitt sie in einen Sessel und zündete sich ihre Zigarette an.
    »Ich habe deine Eifersüchteleien mehr als satt, mein Lieber«, sagte sie und blies den Rauch aus, lange und gerade wie einen Kondensstreifen.
    »Ach«, sagte Geissler mit einem Ton, der klarstellte, daß es nicht an ihr sei, irgend etwas satt zu haben, schon gar nicht seine Eifersucht, deren Berechtigung außer Zweifel stand.
    »Ist das alles, was dir dazu einfällt? Ich bitte dich, Robert, du wirst doch wohl nicht verlangen, daß ich um jeden Mann, der jünger als du und aufregender als Grobfeld ist, einen Bogen unbedingter Keuschheit mache.«
    »Spar dir solche Bemerkungen. Mein Alter spielt hier keine Rolle. Mein Alter hat noch nie eine Rolle gespielt. Gott sei Dank kann ich das sagen, mein Alter ist hier wirklich nicht das Problem. Was ich von dir verlange, ist ja bloß, daß du dich so anstellst, wie man es von einer Witwe erwarten darf, deren Mann gerade erst ein halbes Jahr unter den Toten weilt.«
    Nun war sie es, die »Ach« sagte, denn sein Appell an die Pietät wirkte natürlich komisch, wenn man wußte, daß ihr verstorbener Gemahl, jener Minister für Landesverteidigung, der nun in einem Ehrengrab der Stadt Wien ruhte (allerdings ruhte er nicht wirklich, sondern, ganz im Gegenteil, er tobte, aber nun eben ohne Körper; allgemein werden die Möglichkeiten von immateriellen Existenzen, ihre Rachegelüste auf dämonische Weise zu befriedigen, weit überschätzt, sie sind, um ehrlich zu sein, gleich Null), wenn man also wußte, daß dieser Minister noch unter den Lebenden hätte weilen und noch immer die Wehrhaftigkeit Österreichs hätte einfordern können. Und er auch jetzt noch – in fesches Jägerleinen gehüllt und eins mit der Natur – Edelhirschen hätte das Licht ausblasen können. Und folglich in der Lage gewesen wäre, darauf zu achten, daß keine von den Drecksäuen, mit denen er befreundet war, sich an seiner Wohlgestalten Gattin vergriff, schon gar nicht diese Oberdrecksau von einem altersschwachen Operateur, dem allerdings der Minister bis zu seinem Tod in medizinischen Fragen vollstes Vertrauen schenkte und von dem er sich ja zu Tode hatte behandeln lassen, so daß am Schluß natürlich alle meinten, daß der Minister eben so krank gewesen war, daß nicht einmal der Professor Geissler ihm hatte helfen können.
    »Du kannst doch nicht ernsthaft annehmen«, sagte die Witwe, »daß ich ein Gefängnis gegen ein anderes eintausche.«
    »Aber liebe Edith, wer redet von Gefängnis. Ich halte es einfach für riskant, daß du die fröhliche Witwe gibst. Und bitte vergiß nicht, wenn die Sache auffliegt, dann hängst du genauso mit drinnen. Dann wirst du erleben, was Gefängnis wirklich bedeutet. Um es also ganz klar zu sagen: Ich wünsche, daß du dich nicht von jedem blöden Affen, der dort draußen herumrennt, abgreifen läßt.«
    Geissler war zum Schluß hin etwas lauter geworden. Es war offensichtlich, daß er sich nur mehr schwer unter Kontrolle hatte. Der Einsatz war zu groß gewesen: Er hatte seinen lieben Freund, den Verteidigungsminister, seinen Jagdfreund, der ihm in medizinischen Fragen treu ergeben gewesen war, so lange mit kleinen Dosen eines raffinierten, selbstentwickelten Toxikums versorgt, bis der Körper des Ministers notgedrungen das Handtuch geworfen hatte. Der für den Totenschein zuständige Arzt, ein Schüler Geisslers, hatte sich von seinem Mentor die Todesursache diktieren lassen. Alle waren zufrieden gewesen, denn es muß leider gesagt werden, daß niemand den Minister vermißte, übrigens am wenigsten seine eigene Partei, welcher der sprichwörtliche Stein vom Herzen gefallen war. Dennoch, so fand Geissler, hatte er eine Menge riskiert, denn nie zuvor hatte er außerhalb der Ordnung einen Menschen umgebracht, die Leichen, die seinen Weg pflasterten, waren sozusagen legale gewesen, und die paar Kunstfehler, die ihm passiert waren, zählten ohnehin nicht, die gehörten zum Geschäft wie anderswo Tippfehler oder Lagerschwund. Aber natürlich hatte er seinen ersten echten Mord nur gewagt in der Hoffnung (in der naiven Hoffnung, wie ihm nun schmerzlich

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