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Cheng

Cheng

Titel: Cheng Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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distanziert, wie man es von einem solchen Mann erwarten konnte.
    Eine Zeitlang wurde der Höflichkeit halber über Hongkong gesprochen, natürlich über den Machtwechsel, und man war sich überraschend einig, daß – bei aller Abscheu für den Kommunismus – die Herren aus Peking das Geschäft nur noch stärker ankurbeln würden. Cheng mußte sich ein Schmunzeln ob des Umstands verkneifen, daß er der einzige in dieser Runde war, der noch nie in Hongkong gewesen war, selbst Straka hatte im Zuge eines Symposiums über neue Methoden der Bekämpfung organisierten Verbrechens die südchinesische Metropole besucht.
    Cheng war in der Rolle des Zuhörers. Die anderen beschrieben Hongkong, sie beurteilten Hongkong, sie bewerteten das Wesen der Chinesen und das der Engländer, den Service der großen Hotels und die Bestechlichkeit der Beamten, und Cheng brauchte dies alles bloß zu bestätigen. Verwirrend war nur Strakas Verhalten. Cheng konnte sich nicht vorstellen, daß ihn Straka nicht erkannte. Warum also spielte Straka mit – aus Solidarität oder um seine eigenen Pläne nicht zu gefährden oder einfach weil er abwarten wollte?
    Von Hongkong kam man auf England und von England irgendwie auf die österreichische Innenpolitik und erinnerte sich eines Ministers, mit dem man befreundet gewesen war und der seit einem halben Jahr unter der Erde lag. Bedauerlicherweise hatte er ein paar delikate Problemchen hinterlassen, allerdings auch eine Witwe, welche die Phantasie der Herren mächtig anregte, ohne daß man ins Vulgäre abgeglitten wäre, weniger wegen eines Hongkong-Chinesen, die ja für alle möglichen Schweinereien berühmt sind, sondern wegen des Oberstleutnants, der hier eigentlich nicht dazugehörte und bei dem man aufpassen mußte.
    Straka war mit dem Sohn Geisslers befreundet, einem überaus erfolgreichen Staatsanwalt, der von seinem Vater, dem Chirurgen, gelernt hatte, wann operative Eingriffe, wann psychologische Raffinesse und wann tränenbildende Pflanzen einzusetzen waren und wann es vorteilhafter schien, den Patienten stillschweigend sterben zu lassen. Der Staatsanwalt war gerade dabei, der Tochter der Freundin seiner Frau nachzujagen, weshalb er Straka allein bei den Herren zurückgelassen hatte, was zumindest zwei von ihnen nicht wirklich angenehm war, da sie neben den Leichen im Keller, die hier alle zu verbergen hatten, jeweils auch eine wirkliche Leiche auf dem Gewissen hatten (wirklicher als die Kellerleichen nur in dem Sinn, daß sie selbst Hand angelegt hatten), ohne daß ihr Gewissen an dieser Schuld schwer getragen hätte, aber sie hatten den Oberstleutnant zu Recht im Verdacht, daß er einer von diesen hartnäckigen, unbestechlichen Figuren war, die es in der Polizei eigentlich nicht hätte geben dürfen, aber leider immer wieder gab, weil nun einmal selbst in der Demokratie eine vollkommene Gleichschaltung nicht erreichbar war (übrigens wußten die beiden Herren nichts von der Leiche des jeweils anderen, während alle sehr gut von den Kellerleichen wußten und sich solcherart gegenseitig den Rücken stärkten).
    Draußen zogen Gewitterwolken auf, fette, vollgestopfte Dinger, die aussahen, als könnten sie sich kaum noch in der Luft halten.
    Der Wind begann bereits, so manches Kaviarbrötchen in Unordnung zu bringen, weshalb Frisuren und Hüte und der ganze Rest ins Innere der Villa in Sicherheit gebracht wurden.
    Die meisten Leute strömten in den großen Wohnraum, in dem auch der Glastisch mit den Herren des harten Kerns stand, deren Gemütlichkeit natürlich zum Teufel war und die in ein anderes Zimmer flüchteten, bevor sie ihren Frauen in die Hände fielen.
    In der allgemeinen Aufgeregtheit wollte Cheng Straka in eine Ecke ziehen, aber der Oberstleutnant wurde gerade von dem bereits ziemlich besoffenen Staatsanwalt in einen freundschaftlichen Schwitzkasten genommen und mußte nun höchst unjuristische Bemerkungen bezüglich der sogenannten geilen Weiber über sich ergehen lassen.
    Cheng entfernte sich von der großen Gruppe und sah sich das Haus an. Sehr museal, gemütlich wie in einem angefüllten Gefrierfach, Kunst zum Saufüttern, viel Madame Geissler, aber auch Schiele, Nolde und Alarmanlagen. Wenig Sitzgelegenheiten, als sei Sitzen angesichts von Kunst unanständig.
    Im obersten Stockwerk war er allein. Er stand in einem langen, sakral anmutenden Gang. Große Wandteppiche erzählten Geschichten, die er nicht verstand. Zudem war es geradezu düster geworden. Und wer auch immer dafür

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