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Cheng

Cheng

Titel: Cheng Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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bewußt wurde), daß Edith sich von nun an der Monogamie verschreiben würde. Die einzige Frau, die ihm mehr bedeutete als eine Befriedigung seiner krankhaften Eitelkeit, sollte sich ausschließlich seinem Verlangen widmen. Nicht, daß der Professor ein blauäugiger Mensch war, aber jeder gibt sich einmal einer solch verrückten Illusion hin, die meisten in frühen Jahren; Geissler hatte dazu eben über siebzig werden müssen. Und er fühlte sich nicht in der Lage, nun einfach zu sagen: Na, das war’s wohl, und die blöde Edith soll doch treiben, was sie will. Nicht bei diesem Einsatz. Und deshalb erklärte er nochmals – in aller gespielten Ruhe –, daß er in Zukunft wünsche, daß Edith die Finger von anderen Männern lasse beziehungsweise den Fingern anderer Männer aus dem Weg gehe.
    »Hör genau zu, Robert, du hast hier nichts einzufordern, sei froh, wenn ich ab und zu mit dir ins Bett steige. Das geht in Ordnung, das bin ich dir wirklich schuldig. Aber was ich sonst tue … ich bitte dich, sei nicht kindisch. Denkst du wirklich, sie seien derart umwerfend, deine bizarren Begattungstechniken, denkst du, unter der phantastischen Kraft deiner Lenden zerbricht mein Wille? Nichts für ungut, Robert, aber hast du denn übersehen, daß dein größenwahnsinniger Geist in einem ziemlich verwelkten Körper steckt? Und daß ein solcher Egozentriker wie du je imstande war, eine Frau glücklich zu machen, muß bezweifelt werden. Sei mir nicht bös, aber ich finde es ziemlich ekelhaft, wenn du auf mir herumturnst. Du kannst nämlich gar nicht turnen. Setz dich doch endlich zur Ruhe, bevor du endgültig zur Karikatur verkommst.«
    Geissler wußte, wie recht sie hatte, aber daß sie es so unverblümt aussprach, war ihm unerträglich. Wie alle einflußreichen Menschen war Geissler ein Leben lang von Heuchlern umgeben gewesen, hatte ja unentwegt Heuchler gefordert und Heuchler gezeugt, und die wenigen, die die Unverschämtheit besessen hatten zu glauben, sie könnten auf unentwegtes Heucheln verzichten, hatten diesen Glauben bald wieder aufgeben müssen. Darin zeigt sich ja die Macht eines Menschen, die um so größer ist, je häufiger und intensiver er angeheuchelt wird, und wenn er imstande ist, sich mit lückenloser Heuchelei zu umgeben. Was natürlich nichts daran änderte, daß Geissler in der Abstellkammer seines Bewußtseins recht gut wußte, was für eine Art Mensch er war. Aber daß dies nun von einer Frau ausgesprochen wurde, die ihm eigentlich unendlich dankbar sein mußte und die er besser behandelt hatte als je eine Frau zuvor, das machte ihn rasend, um so mehr, als er nun glaubte zu erkennen, daß eben genau diese liebevolle Behandlung dazu geführt hatte, daß Edith sich derartige Frechheiten herausnahm. Und da ihn der Zorn ziemlich fest beim Krawattl packte, griff er in die Lade und zog eine Pistole heraus. Er hatte nicht die geringste Lust, Edith zu schlagen, sich an ihr schmutzig zu machen, er wollte sie ganz einfach auslöschen, auf eine schnelle, saubere Weise, so sauber eben, wie es kurzfristig möglich war.
    »Das kann doch nicht dein Ernst sein«, sagte sie mit einer derartigen Überzeugung, daß er einen kurzen Moment tatsächlich zweifelte, sich aber gleich wieder fing, was Edith offensichtlich erkannte, denn da war ein neuer Zug in ihrem Gesicht, nicht der des Schreckens, sondern der Enttäuschung darüber, daß ihr Leben auf eine so billige Art zu Ende gehen sollte (billig war daran nicht die Todesart, sondern der Todesschütze).
    »Moment, lassen Sie das!«
    Geissler fuhr herum. In einer Ecke des Raums nahm er vage die Gestalt eines Mannes wahr, der mit dem Finger auf ihn zeigte.
    Eigentlich wollte Geissler abdrücken, nicht speziell auf den Mann, der da plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht war, sondern sozusagen auf seinen eigenen Schrecken, welcher freilich so groß war, daß Geisslers Herz – so schnell und unprätentiös wie beim Ausschalten einer elektrischen Zahnbürste – seine Tätigkeit beendete und Geissler kommentarlos zusammenbrach, und zwar ohne einen Schuß abgegeben zu haben.
     
    Als zehn Minuten zuvor Geissler und die Witwe in den Raum getreten waren und sich Cheng niedergesetzt hatte, um sich eine Ausrede einfallen zu lassen, und – während er da also angestrengt und sehr in Eile nachdachte – feststellte, daß man ihn gar nicht wahrnahm, daß seine Entscheidung, sich nicht zu verstecken, ihn gewissermaßen zu einem unauffälligen Teil des Mobiliars hatte werden lassen,

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