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Cherryblossom - Die Zeitwandler (German Edition)

Cherryblossom - Die Zeitwandler (German Edition)

Titel: Cherryblossom - Die Zeitwandler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Kamp
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für eine Zeit nach England zurück.«
    Er blickte durch mich hindurch, als wäre ich Luft. Die Verdeutlichung meiner Lage schmerzte wie Tausende von Bienenstichen. Er würde das Paket bei Dominik Dawn abgeben, sich aus dem Staub machen und wieder seinen eigenen Angelegenheiten widmen. Ich fühlte mich allein, irgendwie unliebsam und machtlos. Olivia lächelte mir versucht aufmunternd zu, allerdings kam es Gefrierbrand gleich, als ihr Blick mich traf. Möglichst gefasst trat ich über die Türschwelle und hob mit zusammengepressten Lippen meine Hand zum Abschied. Ich brachte keinen Ton heraus.
    »Alles Gute, Hanna!« Es klang tatsächlich aufrichtig und ich wandte mich ihr ein letztes Mal zu, bevor ich mich auf den Weg nach draußen machte. Lennox folgte mir. Die Herbstsonne schien aus voller Kraft und wärmte meine Glieder. Es war mittlerweile spätsommerlich kühl geworden. Der Wind ließ sacht einige Blätter tanzen. Ich ließ die Luft tief in meine Lungen hinein und spürte meinem Herzschlag nach. Das Bewusstsein über die extremen Veränderungen in meinem Leben drohte mich innerlich zu ersticken. Verzweifelt versuchte ich, irgendwo in mir eine Kraftquelle zu finden, aus der ich schöpfen konnte, um nicht verrückt zu werden. Aber wohin ich auch griff, ich griff ins Leere.
     
    Während der ganzen Busfahrt zur Beerdigung herrschte eisiges Schweigen zwischen mir und Lennox. Ich hielt meinen Kopf an die kühle Fensterscheibe gelehnt und nahm mein vertrautes Hamburg in mich auf. Die mir bekannten Straßen, die Kirche, die wir passierten, die Altbauten, die ich so mochte . Wann würde ich es wiedersehen? Wie wird mein Vater sein? Werde ich Henry wiedersehen, oder meine Freunde? Würde ich ihnen trauen können? Wem k onnte ich überhaupt trauen?
    Ich versuchte, die unzähligen Fragen aus meinem Kopf zu verdrängen, indem ich ein Schlaflied vor mich hinsummte. Für einen Moment spürte ich Lennox’ Blick auf mir ruhen, wandte mich ihm aber nicht zu. Sein Anblick würde nur weitere Fragen in mir aufwerfen. Fragen, denen ich nicht bereit war, entgegenzutreten, da sie neue ungewohnte Gefühle betrafen und mein Innerstes noch extremer in Unordnung gebracht hätten. Wenn das in meiner jetzigen Lage überhaupt noch möglich war. Die ganze Zeit, seit dem Verlassen von Olivias Wohnung, rechnete ich damit, irgendeinem anderen Zeitwandler oder Monster zu begegnen. Aber alles blieb so unglaublich normal. Ich sog diese Normalität in mich auf, wie ein trockener Schwamm das Wasser, und blendete alles andere aus. Nur für ein paar Minuten war mein Kopf völlig leer, bis Lennox mich sanft anstieß, weil wir aussteigen mussten. Wir waren angekommen.
    Es standen viele Autos vor dem Friedhofstor. Mir war mulmig, als wir das große schmiedeeiserne Tor passierten. Lennox kam mir in einigen Metern Abstand hinterher, ich war weit weg mit meinen Gedanken und lief weiter voraus. Wir gingen vorbei an unendlich vielen Reihen großer und kleiner Grabsteine. Die Statue eines weinenden Engels blickte mich vorwurfsvoll an. Ich knickte um und kam strauchelnd wieder zum Stehen, den Blick weiterhin auf diesen Engel gerichtet. Vor mir schwangen sich einige Raben aufgeschreckt krächzend in die Luft und ließen sich auf einen naheliegenden Baum nieder, um mich aus ihren Vogelaugen zu mustern. Mir war, als würden sie mich alle auffordern, diesen Ort zu verlassen – der Engel und die Vögel.
    Mein Herz klopfte angestrengt. Nachdem wir einen langen sandigen Weg hinter uns gelassen hatten, kamen wir um eine bewaldete Kurve, hinter der ich eine Traube von schwarz gekleideten Menschen an einem offenen Grab stehen sah. Ich blieb stolpernd stehen und schluckte schwer, nagende Unruhe stieg in mir auf. Von Weitem erkannte ich Marks Eltern und ein paar Schulkameraden. Lennox trat hinter mich und wie aus weiter Ferne hörte ich ihn leise reden.
    »Mach keine Dummheiten, die wollen dich vielleicht nicht hier haben. Du solltest nicht näher herangehen, wir brauchen auch keine Polizei . In Ordnung?« Ich nickte benommen. »Wir sollten uns im Hintergrund halten.«
    Ich starrte weiter geradeaus und nickte wie betäubt ein zweites Mal. Dann hörte ich meine Schritte auf dem Kiesweg, die sich rasch beschleunigten. Mein Blick haftete weiter auf der Szene vor mir. Ein großer brauner Sarg wurde in das Grab hinabgelassen. Tränen bahnten sich ihren Weg in die Freiheit und ich konnte nur schwer atmen. Ein Gewicht drückte auf meine Brust und zog schmerzhaft an meinem

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