Cherryblossom - Die Zeitwandler (German Edition)
etwas anderes für sie weben. Gerade genährt war er voller Energie, es würde leicht für ihn sein, ihr positive Gedanken zu schenken.
Vorsichtig drang er in ihr Unterbewusstsein und sah, was sie sah, roch, was sie roch, fühlte, was sie empfand.
Ihre Angst und die Traurigkeit trafen ihn tief und unvermittelt, ihm stockte der Atem. Sie stand wieder auf diesem Hügel, auf dem sie so oft in ihren Träumen stand. Der Wind riss an ihren Kleidern und an ihrem langen Haar. Neben ihr dieser seltsame Baum, beinahe weiß, skelettartig und kahl, dessen Äste wie die Spitzen nasser Pinsel nach oben zeigten. Es roch verbrannt, unter ihr im Tal brannte es lichterloh. Gequälte Schreie drangen zu ihr hoch und sie wurde von Schluchzern geschüttelt.
Sie riss ihre Hände vor ihre Augen, ließ sich zitternd auf die Knie sinken und krümmte sich wie unter starken Schmerzen zusammen. Langsam und bedacht trat er auf sie zu. Er wollte sie nicht erschrecken. Er würde sie von diesem Hügel fortbringen, weg von diesem Tal und dem Feuer. So, wie er es schon so oft tun wollte. Meist tat er es nicht, weil ihm zu viel Einmischung nicht als gut erschienen war. Dann, als er es doch wollte, befreite sie sich urplötzlich selbst aus dem Traum. Damals wollte er die Gelegenheit nutzen und über ihren Traum Kontakt zu ihr aufnehmen, damit sie ihm vertrauen konnte, wenn sie sich in der Realität begegnen würden. Aber sie war ihm unglaublich schnell entglitten.
Er dachte kurz an die Anspielungen von Ben. War er vielleicht wirklich nicht mächtig genug und naiv? Konnte es wirklich sein, dass Hanna von seltenem Hexengeschlecht war?
Es gab nur noch sehr wenige Hexen und Hexer, was Lennox und den anderen Zeitwandlern allerdings ganz recht schien, hatten sie doch mittlerweile fast die alleinige Herrschaft über ihre parallele Welt. Sie lebten friedlich neben den Menschen her, denen es gar nicht bewusst war, dass es noch etwas anderes außerhalb ihrer Realität gab. Doch die Occulus Videns, die wussten von ihnen, hatten sich aber nach vielen Jahrhunderten der Hexenverbrennungen und -verfolgungen die letzte Zeit friedlich verhalten.
Lennox konzentrierte sich wieder auf Hanna und ihren Traum, kniete sich vor sie in die staubige verbrannte Erde. Hier oben auf dem Hügel heulte der Wind grell auf und er musste sich gegen ihn lehnen, um nicht ins Tal gerissen zu werden. Sand und Asche wirbelten um sie beide herum, er kniff die Augen zusammen, um bessere Sicht zu erlangen.
»Hanna, gib mir deine Hand!« Behutsam nahm er ihre Hände von ihren Augen fort und sie sah ihn überrascht an. Stumm stand sie da, mit Entsetzen im Gesicht und unfähig, sich zu bewegen. Die verschmierte Asche in ihrem Gesicht, auf dem ihre Tränen zwei weiße Streifen zurückgelassen hatten, verlieh ihr etwas Geisterhaftes. Ein Gedanke, so dunkel wie die schwärzeste Nacht, wollte herein. Lennox sperrte ihn aus. Er wollte ihn nicht denken, geschweige denn sich ausmalen. Aber er kam dennoch und bahnte sich seinen Weg in sein Bewusstsein. Was wäre, wenn dieser Traum, der immer wiederkehrte, eine Ahnung ist? Wenn Hanna tatsächlich eine Hexe war, wäre es nicht ungewöhnlich, wenn sie Visionen hätte und somit anstehende Ereignisse prophezeien könnte.
»Ich wollte das nicht«, stöhnte sie nun auf und sah ihn mit bebenden Lippen an. Neue Tränen sammelten sich in ihren Augen und liefen über ihre Wangen. Er wusste nicht, was genau sie meinte. Wollte sie ihm sagen, dass sie für die Zerstörung, die sie umgab, verantwortlich war? Er half ihr auf und stützte sie. »Alles ist gut«, raunte er ihr sanft zu und stellte sich hinter sie, umschloss sie mit seinen Armen.
»Schließ die Augen«, flüsterte er, seinen Mund dicht an ihrem Ohr. Sie verlor den Boden unter den Füßen und ließ sich vertrauensvoll in seine Arme sinken. Er flog sie fort, übers Meer, über Berge hinauf in einen blauen Himmel. Er schenkte ihr Freiheit, Frieden und sorgenfreie Tage ihrer Kindheit und ließ sie glücklich in einer heilen gewebten Welt zurück.
Aus ihrem Traum zurück, beobachtete er sie. Sie lag jetzt still da, mit rosigen Wangen und entspannten Zügen. Um ihren Mund spielte dann und wann ein zaghaftes Lächeln. Lennox legte sich neben sie. Die Arme hinter seinem Kopf verschränkt, spähte er zu ihr herüber und besah ihr hübsches Gesicht, auf dem jetzt so viel Frieden lag. Ihre helle Haut in der Farbe von Alabaster glänzte vom Fieber und ihre blassrosa Lippen bewegten sich, als würden sie ihm
Weitere Kostenlose Bücher