Cherubim
wobei er eine eiserne Zange benutzte, um sich an dem heißen Gefäß nicht die Finger zu verbrennen. »Genau! Du bist ein kluger Kopf, mein Junge. Ich bin sehr froh, dass ich dich wieder an meiner Seite habe!«
»Warum ist sie rot und nicht schwarz?«
»Meister von Hardenberg hat vermutet, weil sie die Eigenschaften des lapis philosophorum enthält.«
»Des Steins der Weisen!«, hauchte Lukas. Von seinem Vater wusste er, dass der Stein der Weisen als rot galt.
Der Doktor musterte ihn mit leicht zusammengekniffenen Augen. »Und: Wie würdest du jetzt weiter vorgehen?«
Lukas überlegte eine Weile. »Ich weiß nicht ...«, begann er und als der Doktor enttäuscht aussah, fügte er rasch hinzu: »... was für unseren Versuch als Samen geeignet ist. Ist das eines der Details, die Ihr vergessen habt?«
Der Doktor stellte den Tiegel mit der Prima Materia auf den gemauerten Rand des Herdes. »Nein. Zum Glück nicht. Der Samen für die Leukosis, die wir nun beginnen müssen, befindet sich in dem zweiten Töpfchen, das ich dir vorhin gegeben habe.« Er deutete auf den Küchentisch, auf dem die beiden kleinen Gefäße beieinanderstanden.
Lukas griff nach jenem, das er vorhin noch nicht geöffnet hatte. Vorsichtig zog er den Stopfen heraus und spähte hinein. Es enthielt ebenfalls ein Pulver, doch dieses hier war nicht weiß, sondern von einer schmutzigen, graubraunen Färbung. Außerdem war es sehr viel gröber als die Nix alba.
»Sieht aus wie Sand«, murmelte Lukas.
»Das ist es auch. Jedenfalls zum Teil. Sand, vermischt mit Holzkohlenpulver und zermahlenen Tonscherben.« Der Doktor nahm einen winzigen Löffel und ein weiteres Gefäß aus seiner Kiste, und beim Anblick dieses Gefäßes gingen Lukas die Augen über.
»Eine Phiole!«, hauchte er. Das Gefäß war ungefähr so groß wie eine geballte Männerfaust und bestand aus hauchdünnem, fast vollständig durchsichtigem Glas. Es hatte die Form eines in die Länge gezogenen Eis, aus dem oben ein sehr dünner Schnabel ragte. Der Boden war leicht abgeflacht, so dass man es aufrecht hinstellen konnte.
Wieder lachte der Doktor. »Dein Vater hat dir bereits einiges beigebracht, sehe ich.« So behutsam, als halte er tatsächlich ein Ei in den Händen, trug er die Phiole zum Herd und stellte sie dort neben dem Tiegel mit der Prima Materia ab. »Du glaubst nicht, wie froh ich war, dass mir nur der Destillationsapparat kaputtgegangen ist und nicht diese Phiole!«
Lukas nickte. Das mochte er wohl glauben! Von seinem Vater wusste er, dass Phiolen als das wichtigste Utensil bei der alchemistischenKunst galten, dass sie, warum auch immer, mit der weiblichen Gebärmutter gleichgesetzt wurden – und vor allem, dass sie schier atemberaubend teuer waren. Gespannt sah er zu, wie der Doktor mit seinem kleinen Löffel mehrere Anteile der Prima Materia aus dem Tiegel kratzte und sie durch die schnabelartige Öffnung ins Innere der Phiole beförderte. Dann maß er zwei Löffel voll des groben Pulvers ab, gab es zu der Prima Materia dazu. Anschließend bat er Lukas, ihm das Nix alba zu reichen. Auch hiervon gab er zwei Löffel voll in die Phiole, nahm diese dann hoch und schüttelte ihren Inhalt mehrere Minuten lang, bis sich alle Zutaten darin gleichmäßig vermischt hatten.
Dann nahm er einen winzigen Holzstopfen aus der Kiste und setzte ihn vorsichtig auf die Öffnung der Phiole. »Das Ganze muss von der Luft abgeschnitten sein«, erklärte er Lukas. »Geh, fache die Glut neu an!«
Lukas tat wie befohlen.
»Mit ein bisschen Übung kann man an der Farbe des Holzes sehen, wie heiß es ist«, meinte der Doktor. »Bisher habe ich meine Schwierigkeiten mit der Handhabung dieses Teiles gehabt, weil ich alleine war. Die Phiole muss in der Hitze geschwenkt werden, damit ihr Inhalt sich gleichmäßig erhitzt. Dadurch konnte ich die Glut nicht richtig anfachen. Hoffen wir mal, dass dies der Grund für mein bisheriges Scheitern war und es jetzt mit deiner Hilfe besser geht.« Er richtete den Blick auf Lukas’ Gesicht, und ein weicher Zug erschien um seine Augen.
Lukas spürte, wie ihm ganz warm ums Herz wurde. »Wie oft habt Ihr diesen Versuch schon gemacht?« Er überlegte, ob er eine weitere Frage hinzufügen sollte, nämlich die, wo er diese Versuche gemacht hatte. Dass er heute zum ersten Mal in dieser Küche hier arbeitete, hatte schließlich die Putzmaßnahme zu Anfang der Nacht gezeigt.
»Oh, viel Male. Mit den unterschiedlichsten Urinsorten.«
Lukas hatte schon den Mund
Weitere Kostenlose Bücher