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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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sie Maria gegenüber. Maria redete, und die Worte drangen aus ihrem Mund wie hallende Glockenschläge. »Die frommen Frauen haben uns gern Angst mit dem Schwert gemacht, wenn wir nicht artig waren«, sagte sie. »Besonders Heini, einer der Jungen, hatte oft Alpträume davon, aber trotzdem hat er immer wieder mitgespielt, wenn wir Kopfschlagen gespielt haben ...« Und als sie das Wort »Kopfschlagen« erwähnte, kippte ihr eigener Kopf nach vorn, fiel zu Boden und rollte Katharina vor die Füße, wo er sie von unten herauf anklagend anblickte.
    Mit klopfendem Herzen fuhr Katharina aus dem Schlaf, öffnete die Augen und starrte gegen die Decke. Warum träumte sie ausgerechnet von diesem kurzen Moment ihres langen Gesprächs? Warda etwas, das sie übersehen hatte? Etwas, das Maria ihr gesagt hatte, dessen Bedeutung sie nur nicht begriff?
    Die frommen Frauen ...
    Zuvor hatte Maria erzählt, dass diese frommen Frauen ein Findelhaus führten.
    Ein Findelhaus!
    Mit einem Ruck setzte Katharina sich hin.
    Hatte nicht auch Heinrich in einem Findelhaus gelebt?
    Sie rief sich die genauen Worte Marias zurück ins Gedächtnis.
    Besonders Heini, einer der Jungen, hatte oft Alpträume davon ...
    Heini.
    Einer der Jungen.
    Heini ... Heinrich!
    Katharina schwang die Füße aus dem Bett.
    Konnte es sein, dass sowohl Dagmar als auch Maria Heinrich gekannt hatten? Gab es hier eine Verbindung zwischen den beiden Morden?
    Sollte sie Maria am Abend, wenn sie sich mit ihr in der Katharinenkirche treffen würde, danach fragen? Noch bevor sie diesen Entschluss fassen konnte, fiel ihr etwas ganz anderes ein.
    Was, wenn Maria die Mörderin war?
    Bei diesem Gedanken durchfuhr es Katharina heiß und kalt.
    Wenn Maria wirklich beide gekannt hatte, wäre das durchaus vorstellbar, zumal sie sich in diesem schrecklichen, aufgewühlten Zustand befand. Wer konnte schon sagen, was ihr gequälter Geist imstande war auszuhecken?
    Katharina legte die Hände an die Wangen. Was hatte sie für Möglichkeiten, Maria zu befragen und sich nicht gleichzeitig in Gefahr zu bringen?
    Eine Antwort auf diese Frage fiel ihr sofort ein.
    Richard.
    Vielleicht sollte sie zu ihm gehen und ihm von ihrem Verdacht erzählen.
    Ein Lächeln glitt über ihre Züge. Sie ließ ihre Finger zum Mund wandern, um es festzuhalten.Sie stand mit einer Freude im Herzen auf, wie sie sie seit vielen Monaten nicht mehr empfunden hatte, und kümmerte sich um das Morgenmahl.
    Mechthild schaute sie erstaunt an, als sie tatsächlich zulangte und sogar mit einigem Genuss von dem dunklen Brot aß. »Diese Frau, die gestern Abend hier war ...« Sie ließ den Rest des Satzes in der Luft hängen.
    Katharina schluckte den Bissen herunter, den sie im Mund hatte. Sie wusste bereits, was ihre Mutter fragen wollte. »Sie war eine Hure, ja.«
    »Kümmerst du dich noch immer um diesen Abschaum?«
    Katharina musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht eine unfreundliche Erwiderung auszuspucken. Warum nur vergaß ihre Mutter immer wieder, dass sie als Witwe des Henkers von Nürnberg selbst zu diesem Abschaum gehörte? »Nein«, sagte Katharina. »Ich habe Maria zufällig kennengelernt. Sie leidet offenbar unter einer ganz ähnlichen Krankheit wie ich.«
    »Du bist nicht krank!«, widersprach Mechthild, und urplötzlich konnte Katharina in ihrer Stimme den Tonfall ihres eigenen Vaters hören, der genau das auch immer behauptet hatte. Im Gegensatz zu Mechthild allerdings hatt er er diese Behauptung meistens mit Hilfe eines Lederriemens unterstrichen.
    Katharinas Hand wanderte über ihre Schulter nach hinten, weil sie noch immer die Schmerzen der Schläge zu spüren glaubte, die er ihr verabreicht hatte, als sie noch ein Kind gewesen war. Sie legte das nur halb aufgegessene Stück Brot zur Seite. Der Appetit war ihr vergangen.
    »Maria«, wiederholte Mechthild. »Welch ein Frevel, mit diesem Namen solch einem ... hm, Beruf nachzugehen!«
    »Sie heißt eben so«, gab Katharina zurück. Insgeheim jedoch dachte sie: Stimmte das wirklich?
    »Sie zieht den Namen der Heiligen Jungfrau in den Schmutz!«, schimpfte Mechthild.
    Jetzt hielt Katharina es nicht mehr aus. »Ich könnte mir vorstellen, dass es mancher Mann ziemlich aufregend findet, sie ...«
    »Katharina!«, fuhr Mechthild auf. »Das ist Gotteslästerung!«
    Nein, Mutter , dachte Katharina. Ich habe weder Gott gelästert noch Christus oder den Heiligen Geist. Alles, was ich getan habe, ist, über eine Frau namens Maria zu sprechen.
    Sie seufzte, weil ihr

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