Cherubim
Selbstsicherheit und Arroganz aus dem Gesicht zu wischen. »Dafür habe ich eine Reihe Zeugen«, fuhr er fort.
»Zeugen! Einen Nachtraben, der sich der Gerechtigkeit des Gesetzes bisher mit Erfolg entzogen hat, etwa?«
Richard holte tief Luft. »Und den Wirt der Krummen Diele «, fügte er an.
Silberschläger lachte leise. »Es amüsiert mich, wie Ihr Euch windet, mein Lieber!«, sagte er, und Richard hätte sich am liebsten auf ihn gestürzt. »Aber es ist gar nicht nötig, vor mir im Staub zu kriechen, denn ich will nicht Euren Kopf.«
Verständnislos sah Richard ihn an, und er sagte: »Oh, im ersten Moment, als ich erfuhr, dass Ihr kleine Kinder den Leibern ihrer armen Mütter entreißt, dachte ich, dass Ihr der perfekte Sündenbock für diesen Mord seid. Präsentiere ihn dem Rat, habe ich mir gedacht, und man wird dir für die rasche Aufklärung dieses widerlichen Verbrechens danken. Aber dann kam Klaus Eberlein zu mir, der Büttel, den ich damit beauftragt hatte, so viel Belastendes wie möglich über Euch herauszufinden. Und was soll ich Euch sagen?« Er lachte auf. »Er erzählte mir, dass Ihr treu und brav jeden Sonntag zur Messe geht! Das war überaus schlau von Euch, denn es verschafft Euch einen Ruf, den zu vernichten mir im Grunde viel zu viel Arbeit verursachen würde. Nein, ich denke, ich würde es niemals schaffen, Euch diesen Mord und eine Leichenzauberei anzuhängen.«
Was redete der Kerl da? , fragte Richard sich. Es wäre ein leichtes gewesen, genau das zu tun, denn die Informationen, die er von seinem Büttel erhalten hatte, stimmten hinten und vorn nicht. Richard war seit Jahren nicht mehr in einer Kirche gewesen. Jedenfalls nicht, um dort eine Messe zu besuchen.
Er fahndete in Silberschlägers Miene nach Anzeichen dafür, welches Spiel der Mann mit ihm trieb.
»Also dachte ich mir, es muss einen anderen Weg geben, diesen Mord zu aller Zufriedenheit aufzuklären. Und darum beschloss ich, das Wissen, das die gute Sibilla mir hatte zuteilwerden lassen, auf andere Art und Weise zu nutzen.« Er schwieg und weidete sich sichtlich an Richards Unbehagen.
»Was wollt Ihr von mir?«, knurrte Richard endlich. »Redet schon!«
Silberschläger lächelte fein. »Nur einen kleinen Gefallen. Ihr werdet morgen mit mir ins Lochgefängnis gehen und die Leiche aus dem Sebaldusgrab sezieren. Und dabei«, das Lächeln verbreiterte sich, »werden wir beide den endgültigen Beweis dafür finden, dass die Juden den armen Mann auf dem Gewissen haben.« Er reichte Richard seinen leeren Becher. Als dieser ihn nicht nahm, stellte er ihn kurzerhand auf den Fußboden neben seinem Sessel. »Wir sehen uns dann morgen im Lochgefängnis. Nicht allzu früh. Sagen wir, zu Beginn der vierten Tagesstunde?«
Richard stemmte sich in die Höhe. Auf einmal hatte er den brennenden Wunsch, seine Hände um Silberschlägers Hals zu legen und zuzudrücken. Er knirschte mit den Zähnen.
Der Bürgermeister blieb einen Augenblick länger sitzen, als höflich gewesen wäre, erst dann erhob er sich und ließ sich von Richard zur Tür geleiten.
»Wir sehen uns morgen, mein Lieber!«, sagte er.
Richard gelang es nur noch, knapp zu nicken. Er hatte die Zähne fest zusammengebissen, und wenn er sie jetzt voneinander gelöst hätte, hätte er den Bürgermeister angebrüllt. So aber schloss er die Tür so sachte, wie er es eben noch vermochte. Dann kehrte er zurück in sein Kontor.
Und erst hier schlug er mit der Faust gegen die Wand, so heftig, dass ihm die Knöchel aufplatzten.
»Warum war der Schweinehund hier?«
Arnulfs Stimme erklang so unerwartet, dass Richard zusammenzuckte und herumfuhr. »Was machst du noch hier?«, herrschte er ihn an.
Arnulf warf sich in den Sessel, in dem er zuvor schon gesessen hatte. Lässig lehnte er sich zurück und legte ein Bein über die Armlehne. »Thomas hat mich noch mal reingelassen. Ich dachte mir, du könntest vielleicht ein bisschen Hilfe gebrauchen!«
Da seufzte Richard und erzählte ihm der Reihe nach alles, was er soeben von Silberschläger erfahren hatte.
»Sibilla?« Arnulf kratzte sich nachdenklich am Hals. »Soso.«
Richard erinnerte sich an seine Ankündigung dessen, was er mit der Hure tun würde, sollte sie plaudern. Doch er war zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, um den Nachtraben zu bitten, Sibilla in Ruhe zu lassen.
Was sollte er jetzt nur tun? Die ganzen Jahre über, in denen er in Pömers Keller die geheimen anatomischen Studien betrieben hatte, war es ihm
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