Cherubim
klarwurde, dass sie besser so schnell wie möglich das Weite suchte, wenn dies hier nicht in dem nächsten großen Streit enden sollte. »Ich muss gehen«, behauptete sie und stand von dem Tischchen auf, das sie vor den Sessel ihrer Mutter geschoben hatte.
»Wohin?«
»Keine Angst, ich gehe nicht zu den Huren!« Spitz klangen die Worte aus Katharinas Mund. »Ich muss ins Kloster, zur Priorin und nach ihr sehen.«
In Mechthilds Gesicht entspannte sich etwas. »Gut.«
Katharina dachte an die Priorin. Vielleicht half ihr ein gelehrtes Gespräch etwas dabei, die Aussicht, dass ihr ein ähnliches Leben in Armut und Ungesetzlichkeit bevorstand, zu vergessen und sich auf ihr nächstes Treffen mit Richard vorzubereiten.
Sie war kaum damit fertig, sich Haube und Mantel anzulegen, als es unten an der Haustür klopfte. Verwundert, wer wohl zu so früher Stunde etwas von ihr wollte, ging sie öffnen.
Es war Guillelmus, der vor ihr stand. Sein rasches Atmen und sein gerötetes Gesicht verrieten, dass er sich beeilt hatte. »Ihr ...« Er musste erst Luft holen, bevor er weitersprechen konnte. »Die Priorin. Es geht ihr schlecht. Sie verlangt nach Euch!«
Er wirkte sehr erschrocken, und Katharina spürte seine tiefe Sorge. Guillelmus machte den Eindruck, als liege die Priorin im Sterben.
»Ich war gerade auf dem Weg zu ihr«, sagte sie, während sie ihren Mantel schloss. »Was hat sie?« Gleichzeitig rasten ihre Gedanken durch alles Wissen hindurch, das sie über Gicht besaß. Diese Krankheit war zwar schmerzhaft, aber sie führte nicht zum Tode. Jedenfalls nicht unmittelbar und vor allem nicht so schnell.
»Ich weiß es nicht. Alles, was ich Euch sagen kann, ist, dass sie sehr besorgt ist. Und Bruder Johannes war auch ziemlich blass, als er mich bat, Euch so schnell wie möglich zu holen.«
»Dann hat er die Priorin schon untersucht?«
Guillelmus schüttelte den Kopf. »Wo denkt Ihr hin! Er ist ein Mann, er betritt den inneren Bereich des Klosters nur ungern. Darum will die Priorin ja Euch sehen.«
»Gut. Ich komme sogleich.« Katharina trat zu dem Mönch auf den Henkerssteg hinaus. »Rasch!«, bat sie. »Beeilen wir uns!«
In aller Eile wurde Katharina vom Besuchsraum durch das Gängelabyrinth des Klosters geführt und stand im nächsten Moment schon vor der Tür zu Kunigundes Gemächern.
Die Nonne, die sie hergebracht hatte und deren Namen Katharina nicht kannte, klopfte und öffnete, ohne auf eine Aufforderung zum Eintreten zu warten.
Das Innere der Gemächer war düster, da man die Fensterläden geschlossen und so das fahle Tageslicht ausgesperrt hatte. Nur einige schmale Lichtstreifen fielen durch die Ritzen der hölzernen Läden und zeichneten ein Muster aus parallelen Linien auf den Fußboden. Katharina biss sich auf die Lippe und fragte sich, warum eigentlich alle Welt dachte, dass es nötig war, Kranke im Dunkeln liegen zu lassen. Wie oft hatte sie früher als erstes Läden aufstoßen oder Vorhänge zur Seite ziehen müssen, um ihre Patienten überhaupt untersuchen zu können!
»Frau Jacob ist jetzt da, Ehrwürdige Mutter«, sagte die Nonne.
»Gut.« Eine schwache Stimme aus der Richtung des Bettes ließ Katharinas Sorge auf das Doppelte anwachsen. Die Priorin klang matt und zu Tode erschöpft.
Katharina ging, um die Fensterläden zu öffnen. Sie tat es mit so viel Schwung, dass die hölzernen Rahmen außen gegen die Fassade krachten und ein wenig Putz von der Wand rings um die Angeln rieselte. Kalte Luft und schwaches Winterlicht fluteten den Raum und vertrieben die Düsternis.
Katharina hörte die Priorin stöhnen.
Sie wandte sich um, und sie erschrak bei dem Anblick, der sich ihr bot. Kunigunde lag in ihren Kissen und war bis zum Kinn zugedeckt. Ihr Gesicht war angespannt und von tiefen Linien durchfurcht, wie das nur bei Menschen der Fall war, die große Schmerzen zu leiden hatten.
»Ich bin jetzt bei Euch«, sagte Katharina und trat leise an das Krankenlager.
»Ich danke Euch, Schwester Rubinia«, murmelte Kunigunde.
Die Nonne verbeugte sich knapp und verließ dann den Raum. Sie schloss die Tür hinter sich so vorsichtig, als fürchte sie, der kleinste Laut könne die Qual der Priorin noch vermehren.
Vielleicht war das tatsächlich der Fall. »Leidet Ihr unter Kopfschmerzen?«, fragte Katharina. Sie versuchte, aus dem Gesicht der Priorin etwas abzulesen, aber es gelang ihr nicht. Die Pupillen waren klar, jedenfalls soweit sie das beurteilen konnte. Kunigunde hatte die Lider halb geschlossen.
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